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„Er hätte gar nicht hiersein dürfen“

Bis zu seinem Tod hat Ahmad Abou-Tabikh versucht, in der Bundesrepublik Fuß zu fassen – 25 Jahre lang –, und ist gescheitert. An seiner Entwurzelung, seiner Drogensucht und am Ausländerrecht  ■ Aus Berlin Bascha Mika

Name: Ahmad Abou-Tabikh,

alias Walid El Dada

Geboren: 1945 in Haifa

Gestorben: 1995 in Berlin

Todesursache: ungeklärt

Staatsangehörigkeit: ungeklärt

Der Palästinenser

Libanon. Ein palästinensisches Flüchtlingslager in Saida. Ahmad Abou-Tabikh ist drei Jahre, als seine Familie von Haifa nach Saida flieht. Ahmads Vater verkauft Kaffee auf der Straße, davon muß die zehnköpfige Familie leben. Ahmad geht zur Schule, bis er 15 ist, dann macht er eine Lehre als Heizungsmonteur. Mitte der 60er Jahre wirbt ihn ein palästinensisches Kommando an. Abou-Tabikh wird sechs Monate im Irak militärisch ausgebildet, kämpft in Jordanien für die Fatah, wird verletzt. Beinschuß. Die Fatah schickt ihn 1970 nach Ost-Berlin zur Behandlung. Fünf Monate bleibt er im Krankenhaus, dann haut Ahmad ab. Nach West-Berlin.

Der Flüchtling

25 Jahre spielen der Palästinenser und die Berliner Ausländerbehörde ein zähes Ping-Pong. Abou- Tabikh wird rausgeschmissen und kehrt zurück. Illegal. Wird abgeschoben und reist wieder ein. Raus, rein, raus, rein. Ein längerfristiges Aufenthaltsrecht bekommt er nie. Anfang der 70er Jahre heiratet er eine Deutsche. Ein kleiner, kompakt gebauter Mann war Ahmad Abou-Tabikh, sagen seine Bekannten, immer gepflegt, mit großen, dunklen Augen und dem „Charme eines Teddybären“. Die kinderlose Ehe hält nur ein paar Jahre. In dieser Zeit arbeitete er regelmäßig in seinem Beruf. 1971 steht Abou-Tabikh das erste Mal vor Gericht. Diebstahl. 1976 wird er heroinsüchtig, 1987 wird HIV diagnostiziert.

Der Kämpfer

„Ahmad? War völlig hartnäckig, der Mann.“ Einer, der was aus seinem Leben hätte machen wollen, erzählt Kamel Chahrour. „Immer, wenn etwas nicht geklappt hat, war er über sich selbst total sauer.“ Ein halbes Jahr, bis Anfang 1995, haben die Palästinenser Abou-Tabikh und Chahrour zusammen in Abschiebehaft gesessen. „Damals war er in ziemlich explosiver Stimmung. Bei jeder Kleinigkeit hätte er ausrasten können. Aber wenn sich die Sachen so ansammeln, die Hoffnungen immer kaputtgehen, da staut sich so eine Wut...“

Wütend war Abou-Tabikh, weil er vor dem Nichts stand, weil er seine Drogenabhängigkeit haßte, weil er sich vor seiner Aids-Erkrankung fürchtete. Er war wütend auf die mangelhafte medizinische Versorgung im Abschiebeknast – „das hier ist schlimmer als in einer Bananenrepublik!“ – und hatte in dieser Zeit nur ein Thema: Er wollte raus.

Abou-Tabikh hatte schweres Asthma. Nachts, bei einem Anfall, wäre er beinahe in seiner Zelle erstickt. Für solche Notfälle hatte er eigentlich ein Asthma-Spray – aber das hatte ihm das Wachpersonal weggenommen. Aus Sicherheitsgründen. Bernd Günther, ein katholischer Seelsorger, der ihn betreut hat: „Daß er beinahe erstickt ist, hat Ahmad mir wie nebenbei erzählt – weder aggressiv noch gereizt. Ich habe ihn eher zurückhaltend und bedrückt erlebt.“

Der Süchtige

Erst snifft er, dann spritzt er, dann holt er sich über die Nadel den Virus. Er dealt, um seinen Stoff zu finanzieren. 1976 steht Abou-Tabikh zum ersten Mal wegen Drogenbesitzes und -verkaufs vor dem Richter. In den nächsten 16 Jahren folgen Verurteilungen und Haftzeiten Schlag auf Schlag. Mehrmals wird er zu einem Zeitpunkt festgenommen, zu dem ihn die Ausländerbehörde abschieben will. „Ich will vom Heroin weg, und es gibt einen Weg!“ versichert er sich und anderen immer wieder. Er weiß, daß er sich zerstört, weiß, daß die Drogendelikte seine Chancen auf ein legales Leben in Deutschland extrem beeinträchtigen. Aber er hält es nicht durch. Ständig kehrt er zurück zur Fixer-Szene am Bahnhof Zoo, hier hat er seine einzigen engen Kontakte.

Seine längste Strafe muß er 1992 antreten: 20 Monate. Im Knast bekommt er den Ersatzstoff Polamidon. Doch als er anschließend in Abschiebehaft gesteckt wird, kann die Polamidon-Therapie nicht fortgeführt werden. Er kommt auf Entzug, behilft sich mit Schlaftabletten, die jeder Häftling problemlos bekommt. „Ahmad hatte eine zerstörte Biographie, wie die meisten von uns“, sagt ein palästinensischer Landsmann, der sich mit der „Initiative gegen Abschiebehaft“ um den Flüchtling gekümmert hat. „Aber er hatte auch einen starken Willen. In der Haft war er sauber, das wollte er auch bleiben. Das behaupten zwar alle Drogensüchtigen, aber ihm habe ich es wirklich geglaubt.“

Zwei Monate nach seiner Entlassung aus der Abschiebehaft wird Ahmad Abou-Tabikh bewußtlos in seinem Zimmer im Flüchtlingsheim gefunden. Am 1. April 1995 stirbt der Palästinenser im Krankenhaus in Berlin-Friedrichshain. Er hat Kokain, Heroin und eine weitere Substanz im Blut. Die Polizei hat die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Selbstmord? Überdosis?

Der Asyl-Fall

Ahmad Abou-Tabikh hat alle Mittel eingesetzt, um in der Bundesrepublik zu bleiben. Legale und illegale. So kehrt er 1981 nach mehreren Abschiebungen unter dem falschen Namen Walid El Dada nach Berlin zurück. Der Schwindel fliegt auf. Zur Begründung seines neuerlichen Asylantrags schreibt Abou-Tabikh: „Nach meiner letzten Abschiebung wurde ich im Libanon von der Fatah verhaftet und gefoltert. Sie haben mir meine Papiere weggenommen. Ich konnte fliehen. Ich kann nicht zurück. Ich habe im Libanon niemanden mehr.“ Doch wieder wird sein Antrag als „offensichtlich unbegründet abgelehnt.“ Die Behörden lassen den Palästinenser wissen, „daß Sie nicht den Schutz des deutschen Staates vor vermeintlicher politischer Verfolgung suchen, sondern statt dessen deutsches Asylrecht zum Zwecke Ihrer rechtswidrigen Geschäfte mißbrauchen“.

Das Behördenopfer

Nach Jahren des Hin und Her will die Ausländerbehörde 1994 einen Schlußstrich ziehen. Nachdem Abou-Tabikh seine letzte Haftstrafe verbüßt hat, wird er am 21. 7. 1994 in Abschiebehaft genommen. Dadurch verliert er den Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft, den ihm die Berliner Aids-Hilfe für die Zeit nach seiner Strafhaft verschafft hat. Dasselbe passiert mit einem Drogentherapieplatz.

Um abgeschoben werden zu können, braucht Abou-Tabikh Reisedokumente. Einen Paß oder ein „Document de voyage pour les réfugiés palestiniens“. Die hat er nicht, und die libanesische Botschaft weigert sich, die Papiere auszustellen.

Mehrere Organisationen und Initiativen – vom Flüchtlingsbeirat über Pax Christi bis zum Deutschen Roten Kreuz – bemühen sich um Abou-Tabikh. „Er hat die Abschiebehaft als sehr ungerecht empfunden“, erzählt Angela Hamaiel von der „Initiative gegen Abschiebehaft“. „Er hat aber auch gesagt: Ich hab' ja wirklich viel Scheiße gebaut.“ Der Ausländerbeauftragte der evangelischen Kirche richtet eine Petition an das Berliner Abgeordnetenhaus, und die Ausländerbeauftragte Barbara John schreibt an die Ausländerbehörde: „Ich meine, daß man einem an Aids erkrankten Menschen nicht zumuten kann, sich um einen Paß zu bemühen, um dann im Libanon zu sterben.“

Abou-Tabikhs Rechtsanwältin fordert ein Gutachten der Berliner Vollzugsanstalten an. Darin heißt es: „Nach hiesiger Sicht bedeutet die Abschiebung nicht nur eine unverhältnismäßige Härte. Sie muß zwangsläufig zum Abbruch jeglicher ärztlicher Überwachung und Behandlung der HIV-Erkrankung führen und wird damit eine raschere Progredienz des ohnehin unheilbaren Leidens mit Lebensverkürzung nach sich ziehen.“ Gegengutachten der Ausländerbehörde: „Nach den Feststellungen des Polizeiarztes befindet sich Herr Abou-Tabikh in keiner kritischen gesundheitlichen oder psychischen Verfassung.“

Nach richterlichem Beschluß wird Abou-Tabikh am 18. 1. 1995 aus der Abschiebehaft entlassen. Begründung des Richters: Die Reisedokumente seien nicht zu beschaffen, also könne der Palästinenser auch nicht abgeschoben werden. Kurz vor Mitternacht wird Abou-Tabikh auf die Straße gesetzt. Ohne einen Pfennig. Denn die Kasse im Gefängnis hat längst geschlossen. Häftlinge in der Nacht zu entlassen – ohne Geld und oft ohne Bleibe – ist nicht ungewöhnlich, weiß die „Initiative gegen Abschiebehaft“. Auch Thomas Raabe, Sprecher des Berliner Innensenats, muß zugeben, „daß so etwas vorkommen kann“.

Ahmad Abou-Tabikh wird mit einer sogenannten Grenzübertrittsbescheinigung als einzigem Ausweispapier entlassen. Darin heißt es, daß er „zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist. Die Ausreisepflicht endet am 31. 1. 1995.“ Abou-Tabikh mußte aus der Abschiebehaft entlassen werden, weil er ohne Papiere nicht abgeschoben werden konnte. – Er kann nicht abgeschoben werden, aber ausreisen soll er. Zwei Wochen hat er dazu Zeit, Papiere aber hat er keine. Mit der Grenzübertrittsbescheinigung kommt er aus Deutschland heraus, aber in kein anderes Land hinein. Kommentar von Senatssprecher Raabe: „Illegal ist er sowieso. Er hätte von vornherein nicht hiersein dürfen.“

Und so behandeln die Behörden Abou-Tabikh noch nach seinem Tod: Weil das zuständige Sozialamt nach der Freigabe der Leiche nicht sofort benachrichtigt wird, liegt er drei Wochen im Leichenschauhaus.

Der Verlierer

In Freiheit, aber ohne Papiere, in einem Flüchtlingsheim, mit der vagen Hoffnung auf eine Aufenthaltsbefugnis vielleicht irgendwann. So steht Ahmad Abou-Tabikh nach seiner Abschiebehaft da. „Er war extrem deprimiert, daß er nicht schnell einen neuen WG- und Drogentherapieplatz bekommen konnte“, erzählt Bernd Meinke von der Berliner Aids-Hilfe, „ihm fehlten stabilisierende Strukturen, er hatte Angst, wieder abzurutschen.“ In den letzten zwei Monaten seines Lebens verfällt Abou- Tabikh zunehmend. Meinke: „Er vernachlässigte sich. Man sah, daß ihm alles egal war.“ Der Palästinenser hatte keine Freunde, aber viele professionelle Helfer. Meinke: „Er war jemand, der das Helfersyndrom in einem angesprochen hat.“ Trotz dieser Unterstützung hält Ahmad Abou-Tabikh nicht durch. „Es gleitet mir alles durch die Finger“, klagt er kurz vor seinem Tod. Letzte Woche wurde er auf dem Friedhof in Berlin-Gatow beerdigt.

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