Eisenharte Beethovenarbeit

■ Der Pianist Stephan Möller über sein Duett mit einem klavierspielenden Computer/ Zu Gast beim Bremer Symposion „Chaos – Mathematik – Künste“

Wenn Stephan Möller das „unspielbares“ Wahnsinnswerk „Große Fuge“ von Beethoven aufführt, spielt stets sein unsichtbarer Doppelgänger mit: Seit 1988 trägt der Bremer Beethoven-Spezialist das Stück für vier Hände alleine vor, nämlich an einem computergestützten Spezialflügel. Dabei spielt Möller live zu einer digitalen Aufzeichnung, die ebenfalls von ihm stammt. Während des Konzerts wird dieser Part per Computer in den elektrifizierten Flügel eingespeist, wo sich dann vor den Augen des staunenden Publikums die Tasten wie von Geisterhand bewegen. Mit diesem Kunststück ist Möller, der inzwischen in Wien lebt, nun zu Gast auf dem heute beginnenden Bremer Symposion „Das Chaos, die Mathematik und die Künste“ – wie das alles zusammenpaßt, erzählte er der taz im Interview.

taz: Was macht Beethoven auf einem Chaos-Symposion?

Möller: Das liegt am Charakter der „Großen Fuge“, die ich spielen werde. Da gibt es einen spannenden Widerspruch zwischen der äußeren Unordnung, die man beim ersten Hören der „Großen Fuge“ verspürt, und der unglaublichen guten Konstruktion, die hinter dem gesamten Werk steckt. Das ist für mich Chaostheorie: Da, wo alles ganz zufällig wirkt, ist oft die größte Ordnung verborgen.

Das Bremer Symposion will zeigen, wie „moderne Hochleistungs-Computer den Umfang menschlicher Intuition und Wahrnehmung erweitern“. Was hat sich denn bei Ihnen erweitert, seit Sie mit einem Computer zusammenspielen?

Immer, wenn ich dieses Stück quasi mit mir selbst spiele, passiert etwas besonderes. Aus einer eigentlich rein technischen Wiedergabe und dem Zusammenspiel mit dem Menschen entwickelt sich dabei ein neuer Organismus. Ich gehe ja direkt ein auf das, was mir der Computer vorgibt; manchmal wiederum scheint es fast, als würde der Computer auf mein Spiel reagieren. Das liegt natürlich an der Besonderheit der „Großen Fuge“. Das Werk ist ja aus einer ganz radikalen, aber auch einsamen Geisteshaltung des späten Beethoven entstanden. Weil ich dabei nicht mit jemand anderem vierhändig spiele, sondern alles im Prinzip von mir stammt, wird natürlich die ganze Interpretation noch viel einheitlicher. Das ist in diesem Fall etwas, das dem Stück sehr nützt.

Bei der ersten Aufführung mit dem computergestützten Flügel klang es stellenweise aber nicht sehr einheitlich. Zwei Pianisten könnten doch zum Beispiel viel besser auf Temposchwankungen reagieren, ihr Computer nicht.

Nein; wenn da zwei Leute am Klavier sitzen, geht es drunter und drüber. Die Stimmführungen sind beim späten Beethoven so radikal. Beim Streichinstrument geht das noch, da hat jeder sein eigenes Instrument. Wenn sich aber zwei Leute an einem Klavier zusammensetzen müssen, gibt es so viele territoriale Übergriffe, die Hände müssen im Weltrekordtempo übereinander hinwegspringen – da kann es nicht nur Fehlgriffe geben, sondern im Extremfall sogar arge Verletzungen. Wenn einer den Finger nicht rechtzeitig wegzieht und der andere im Fortissimo auf derselben Taste landet, dann haben wir schon die Fingerstauchung.

Diese Unspielbarkeit, behaupten einige Fachleute, gehört allerdings zur besonderen Ästhetik des späten Beethovenwerks, als utopisches Moment. Was geht uns verloren, wenn wir die „Große Fuge“ nun in technischer Perfektion hören können?

Das utopische Moment soll natürlich nicht in wirklicher Unspielbarkeit ausarten. Ich glaube, daß Beethoven wollte, daß seine Stücke aufgeführt werden, genau wie jeder andere Komponist auch. Er hat es den Leuten nur manchmal unerhört schwer gemacht, schwerer als andere. Da hilft uns jetzt der Computer, diese Schwierigkeiten zu überwinden.

Ein Spektakel ist diese Aufführung dennoch. Vor einigen Monaten haben sie sämtliche 32 Klaviersonaten von Beethoven am Stück gespielt; jetzt versuchen sie, das Unspielbare zu meistern – treibt Sie Sportsgeist an, wenn Sie Beethoven so bearbeiten?

In Guinnessbuch der Rekorde will ich jedenfalls nicht. Und die 32 Klaviersonaten: Das ist ein Projekt, an dem ich lange gearbeitet habe; aber dazu gehört weniger der Wille zum Weltrekord, sondern einfach eisenharte Arbeit. Ich würde diesen Zyklus auch gerne noch öfter spielen. Aber ich bin auch froh, daß es nicht 64 Sonaten sind. Wenn man das geschafft hat, hat man das gute Gefühl: Man hat wirklich was getan. Genauso ist es mit der „Großen Fuge“. Ich liebe das Stück sehr, darum möchte ich es gerne spielen. Ich bedaure es sehr, daß ich kein Streichquartett bin – dann könnte ich die anderen späten Beethoven-Quartette auch spielen. Aber für die hat uns Beethoven nun mal leider keine Klavierbearbeitung hinterlassen.

Hat sich ihre Spielkultur durch die neuen technischen Möglichkeiten verändert? Immerhin arbeiten Sie seit 1988 mit dem Computerflügel.

Ein Allheilmittel bietet diese Technik nicht. Sie ist eine Hilfe bei ganz bestimmten Problemlösungen, die aber nicht übertragbar sind. Man könnte jetzt sagen: Prima, mit der neuen Technik kann ein einzelner Pianist alle vierhändigen Klavierstücke der Musikgeschichte allein spielen. Aber die setzen eben vom Aufbau her normalerweise die Existenz zweier Spieler voraus und benutzen diese als Ausdrucksmittel – daß die Pianisten sich abwechseln, daß sie aufeinander eingehen, Themen aufgreifen und abwandeln. Ich stehe der neuen Technik weiter sehr skeptisch gegenüber. Fragen: tw

"Chaos – Mathematik – Künste“, vom 18. – 21. Mai; heute um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz: „Selbstähnlichkeit in Mathemathik und Musik“, mit Vorträgen und Musik; Samstag, 20 Uhr, im Überseemuseum: „Portraitkonzert Klarenz Barlow“; Sonntag, 20 Uhr, ebendort: „Beethoven – Die Große Fuge“ mit Stephan Möller