Liberale Notgemeinschaft

Die FDP ist nach ihrem Wahldebakel so geschwächt, daß der Vorsitzende auf keinen Parteiflügel verzichten kann, Kinkel ist jedoch nicht so stark, daß er beide Flügel integrieren kann  ■ Aus Bonn Karin Nink

Die Krise, so Hans-Dietrich Genscher, ist die „schwerste in der Geschichte der FDP“. Für die düstere Diagnose des ehemaligen Vorsitzenden kennt der jetzige nur eine Therapie: sich selbst. „Aufgeben kommt nicht in Frage“, hat Klaus Kinkel nach dem Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen und Bremen verkündet und gleichzeitig bekräftigt, daß er auf dem bevorstehenden Parteitag in Mainz wieder für den Vorsitz kandidieren will. Die Partei scheint Willens, die Medizin zu schlucken, denn anders als beim FDP-Sonderparteitag im Dezember in Gera, wo Kinkel angesichts der massiven Vorwürfe von seiten der ParteimitgliederInnen kurz vor dem Rücktritt stand, blieb er bisher von offener Kritik weitgehend verschont. Die meisten Landesverbände stellten ihn als Vorsitzenden nicht in Frage. Harsche Kritik kommt aus Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. „Er schafft es einfach nicht, die Arbeit des Außenministers und die des Parteivorsitzenden unter einen Hut zu bringen“, kritisiert Jürgen Bohn, Mitglied im Vorstand des thüringischen Landesverbandes. In einer so „existentiellen Krise“ müsse ein Parteivorsitzender jeden Tag für die Mitglieder zu erreichen sein und könne nicht als Außenminister durch die Welt reisen.

In Bonn gibt es niemand, der Kinkel öffentlich zum Rücktritt aufgefordert hat, auch wenn in der Fraktion Stimmen laut wurden, der Parteivorsitzende müsse frühzeitig vor dem Parteitag einen personellen und inhaltlichen Neubeginn in die Wege leiten. Sogar die Jungen Liberalen, die vor einem halben Jahr in Gera noch zu Kinkels vehementesten Kritikern gehörten, sind zahm und nehmen den Parteichef diesmal nicht ins Visier. Die Verantwortung für das miserable Wahlergebnis in NRW könne man nicht nur der Parteiführung anlasten, sondern auch dem NRW-Spitzenkandidaten Achim Rohde, sagte Juli-Vorsitzender Michael Kauch. „Über die richtige Positionierung als Steuersenkungspartei hinaus“, müsse die FDP wieder zu einer „offensiven Bürgerrechtspartei“ werden, forderte er.

Im Bundesvorstand entbrannte statt einer Personaldebatte um Kinkel eine Diskussion um das Profil der Partei. Das Zauberwort heißt „Vergrößerung der Themenpalette“ und meint, daß die Liberalen sich wieder um Fragen wie Umweltschutz und Bürgerrechte kümmern sollten, die sie in den vergangenen Jahren links liegen gelassen haben. Denn in der „Schwerpunktbildung auf wenige Themen“ (Genscher) haben viele Mitglieder der blau-gelben Partei die wesentliche Ursache für die Misere ausgemacht. „Wenn wir diese programmatische Verengung nicht aufgeben, werden wir in der Tat ein Lageranhängsel der Union“, fürchtet ein Teilnehmer der Vorstandsrunde. Neu sind diese Gedanken nicht. In Bremen haben die Liberalen diesen Ansatz während der Ampelkoalition ausprobieren wollen, letztlich hat sich die Mehrheit aber nicht darauf eingelassen.

Kinkel hält die vehement vertretenen Positionen der FDP zur Mittelstandsförderung und zur Steuerpolitik nach wie vor für richtig, doch es sei der Partei leider nicht gelungen, diese Haltung den Wählern nahezubringen, bedauert er. Deswegen schließt er sich nun der Haltung von Baum, Hirsch, Genscher und Leutheusser- Schnarrenberger an, die der FDP wieder mehr Profil als Bürgerrechtspartei geben wollen. Auf diesem Weg, so hofft der glücklose Parteivorsitzende, könnten wieder Wähler erreicht werden, „die früher für die FDP offen waren“.

Für den Juli-Vorsitzenden Michael Kauch, „muß es in Mainz eine ganz klare Richtungsentscheidung geben, wo die inhaltlichen Schwerpunkte gesetzt werden“. Er sagte: „Wenn Kinkel den Kurs einer liberalen Bürgerpartei stützt, sollte er Parteivorsitzender bleiben.“ Personelle Neubesetzungen im Präsidium hält er allerdings für angebracht: „Wir brauchen dort Leute, die die liberale Richtung offensiv vertreten, ohne die Koalition in Frage zu stellen.“

Der konserative und wirtschaftsliberale Flügel der FDP lehnt Vorschläge, das Angebot liberaler Politik wieder zu erweitern, ab. So wandte sich der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der baden-württembergischen FDP Roland Kohn gegen den von Gerhart Baum geforderten, entscheidenden Richtungsstreit. Kohn will statt dessen „der Kriminalität den Krieg erklären“, sich für die Interessen des Mittelstands einsetzen und auf „ein gesundes Nationalgefühl als Bedingung für eine stabile Demokratie“ setzen.

Es zeigt sich das ganze Dilemma: Kinkel und sein Generalsekretär Westerwelle müßten, um die FDP zu konsolidieren, den Bürgerrechtsflügel der Partei stärken, ohne die Wirtschaftsliberalen zu verprellen. Sollte es ihnen gelingen, bekommen sie Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner. Der hat ihnen jedoch die andere Richtung empfohlen. Die FDP müsse, so Helmut Kohl, in Fragen der inneren Sicherheit zu neuen Positionen finden. Karin Nink