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Wann ist Krieg ein Asylgrund?

■ Vor dem Verwaltungsgericht kämpft ein Tschetschene, der als Soldat der russischen Armee vor dem Tschetschenien-Krieg desertierte, um Asyl

Hildesheim (taz) – Das Verwaltungsgericht Hildesheim hat gestern noch keine Entscheidung über das Asylbegehren des tschetschenischen Deserteurs Ibrahim Dschangulov getroffen. Der 25jährige Leutnant war im Januar heimlich aus der russischen Armee geflohen, als seine Einheit an die Grenze nach Tschetschenien verlegt wurde. Sein Asylgesuch ist bisher das erste, das vor einem deutschen Gericht verhandelt wird.

Die zuständigen Richter – „normalerweise ist unsere Kammer ja mit Bauland und Landschaftsschutz befaßt“ – sahen sich gestern nicht in der Lage, „über die komplizierte Materie“ zu urteilen, ob einem Berufssoldaten, der sich weigert, an der Bombardierung Grosnys mitzuwirken, in Deutschland Schutz gebührt.

Noch vor wenigen Wochen erschien den Richtern die Materie nicht so kompliziert. Gleich zweimal hatten sie die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung von politischen Flüchtlingen bestätigt, das Dschangulovs Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft hatte. Innerhalb von einer Woche sollte der Deserteur die Bundesrepublik verlassen. Andernfalls würde seine Abschiebung angeordnet. Die Richter hatten, ohne ihn anzuhören, Zweifel daran angemeldet, daß Dschangulov wirklich Tschetschene ist und tatsächlich als Soldat eingesetzt war. Außerdem gebe es keine „substantiierten Anhaltspunkte“ dafür, daß dem Deserteur bei einer Rückkehr nach Rußland politische Verfolgung drohe. Selbst wenn er dort mit dem Tod bestraft würde, stelle das noch keine politische Verfolgung dar, da in Rußland auch für andere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vorgesehen sei.

Die Zweifel an seiner Identität als desertierter Offizier konnte Ibrahim Dschangulov gestern vor Gericht durch detaillierte Beschreibungen seines Militäralltags und eine genaue Schilderung seiner Flucht wohl weitgehend ausräumen. Ausführlich berichtete er auch von einem Gespräch, bei dem ihn zuvor ein Major einer Sonderabteilung davor gewarnt hatte, sich gegen den Krieg gegen sein Heimatland zu stellen. Er würde dann in eine Einheit versetzt, „wo alles mögliche mit dir passieren wird“.

Das Gericht muß sich jetzt mit zahlreichen Beweisanträgen von Dschangulovs Anwalt befassen. Darin geht es auch um die Klärung der Frage, ob der Krieg gegen Tschetschenien ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist und die Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Stuft das Gericht den Feldzug so ein, hätte Dschangulov sich sogar strafbar gemacht, wenn er daran mitgewirkt hätte. Sina Bremer

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