■ Das Buch: Mit erträglicher Leichtigkeit
Manfred war mehr als ein Freund. Der sportliche Junge mit dem braunen Wuschelhaar war, wie es Gad Beck schreibt, seine „erste große Liebe“. Die beiden jüdischen Heranwachsenden gingen „zärtlich miteinander um“, küßten sich, erfüllten sich ihre erotischen Wünsche.
Als Manfred eines Tages von der Gestapo in das Sammellager in der Hamburger Straße gebracht wurde, geriet Gad Beck außer sich. Todesmutig motzte er sich mit einer ausgeliehenen HJ-Uniform auf, verschaffte sich mit einem schmetternden „Heil Hitler“ Eintritt ins Lager, log dem Aufseher einen triftigen Grund ins Gesicht und schaffte es tatsächlich, Manfred rauszuholen.
Doch Manfred wollte seine Familie nicht allein lassen. „Ich könnte niemals frei sein“, sagte er zu Gad und lief wenige Minuten später wieder ins Lager zurück. Gad sah ihm hinterher. „In jenen Minuten“, erinnert er sich, „wurde ich erwachsen.“
Wo andere larmoyant werden, schildert Gad Beck mit einer erträglichen Leichtigkeit, ohne Schicksalsmomente auszublenden. Nichts wirkt schwermütig. Kein Wort ist moralingetränkt. Seine Biographie „Und Gad ging zu David“ speist sich aus einem scheinbar unerschöpflichen Fundus von Anekdoten, Traumata und Tragik, Liebe und Leidenschaft. Es geht um die Zeit seines Heranwachsens im Zweiten Weltkrieg: Mit etwa 20 weiteren jüdischen Jugendlichen zog Gad Beck in den Untergrund. Sie versorgten zahlreiche Menschen mit falschen Pässen, Quartieren, Kleidung und Nahrung. Begonnen hatte die Gruppe „Chug Chaluzi“ mit der Vorbereitung der Juden für die Alija, die Einreise nach Palästina. Zum Schluß kämpfte sie nur noch um das tägliche Überleben.
Gad Beck dokumentiert das Leben in der Illegalität immer durch die Beziehungen zu seinen Mitmenschen, zur Familie und zu Freunden und durch deren Beziehungen untereinander. In sämtlichen Situationen ist seine Dreifaltigkeit – Widerstandskämpfer, Jude und Schwuler – präsent. Auch das macht sein Buch in der Masse der Veröffentlichungen über den Krieg einzigartig. Sicherlich wird es LeserInnen geben, die sich über die schaurig-schöne Unmittelbarkeit der Ereignisse wundern.
Etwa wenn Beck von seinen Männerabenteuern im Sammellager schreibt: Zwischen wimmernden und weinenden Jüdinnen und Juden hatte er Sex. Derlei Schilderungen sind manchmal mit überstrapazierten und umgangssprachlichen Redewendungen gespickt („Man muß nicht immer bumsen, bis die Wände wackeln“). Aber auch das ist eine Seite von Gad Beck.
Becks Vater war Jude, seine Mutter Christin. Vor Schikane feite sie das nicht. Wenn das Küchenfenster der Becks offenstand, warf eine Nachbarin regelmäßig ein in Zeitungspapier eingewickeltes Paket mit Fäkalien in die Wohnung. „Judenhure“ war auf das Papier gekritzelt. Als die Nachbarin im Hausflur einmal Gads Mutter wüst beschimpfte, knallte ihr diese einen Milchtopf auf den Kopf. Und schubste sie die Treppe hinunter. Die Becks zeigten sich selbst bei der Polizei an, der Vater mußte drei Monate ins KZ. Mit Hilfe eines befreundeten Polizeiinspektors kam er frei.
Gad Beck selbst wurde kurz vor Kriegsende noch verraten, mußte bei seiner Verhaftung sein eigenes Todesurteil unterschreiben. Es folgte ein Verhör mit dem berüchtigten Judenmörder Erich Möller. Beck beschreibt ihn als den Mann mit dem „dumpfen Terriergesicht, bösen, leeren Augen und hängenden Wangen“. Tage später, Beck und sein Freund Zwi sitzen gefangen in einer Kellerzelle des jüdischen Krankenhauses. Es war ein Sammellager; die letzte jüdische Zentralstelle in einem, wie es sich Goebbels ersehnte, „judenfreien“ Staat. Ein SS- Hauptsturmführer hatte von Möller den Befehl bekommen, sämtliche Gefangenen zu „liquidieren“. Statt dessen zerriß er die Papiere, ließ die Zellentüren offen und ging.
Beck führt den LeserInnen das Berlin des Hitlerdeutschland 1:1 vor Augen. Ganz einfach, ganz unprätentiös. Und so wird das Buch auch diejenigen bewegen, die der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der zahlreichen Gedenkfeiern müde geworden sind. Tomas Niederberghaus
Gad Beck: „Und Gad ging zu David“, edition diá, 300 Seiten, 36 DM.
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