: Wer heiratet, macht sich verdächtig
Ulrike und Birane Ulrich-Gueye aus Dresden wollen so normal leben wie andere auch – ohne Kontrolle und Angst ■ Von Detlef Krell
Sie war auf Dienstreise, er schon länger in Duisburg. In der Disco begegneten sie sich: Ulrike Ulrich, Feministin aus Dresden, Birane Gueye, Asylsuchender aus einer Stadt im Senegal. In Leipzig sahen sie sich wieder, beim Afrika-Tag an der Uni, dann trafen sie sich, mal hier, mal da. Vier Monate nach der Disco-Nacht am Rhein feierten sie an der Elbe ihre Hochzeit. „Ich habe mich“, staunt die bis dahin „begeisterte Solofrau mit Kind“ noch heute, „kurzentschlossen in die Ehe geworfen.“ Am 10. Juni feiern sie ihren ersten Hochzeitstag, in Dresden.
Ihr Mann hatte ein halbes Jahr in Deutschland gelebt. Er war über Frankfurt/Main und Gießen ins Sammellager nach Duisburg geschickt worden und möchte über diese Zeit als „Asylant“ heute lieber nicht mehr reden. Ulrike Ulrich hatte ihn in diesem Lager besucht: „Ich war selten so erschüttert in meinem Leben.“ Und es passierte dem Paar zuletzt in Duisburg, daß ein „unauffälliger Mann“ die beiden auf der Straße „übel beschimpfte“. Da war sie wieder, diese Erniedrigung durch Worte, wie damals so oft, in der DDR: „Ich habe eine afrodeutsche Tochter. Auf der Straße, im Bus oder in der Schule, immer wieder hat sie ihr Anderssein zu spüren bekommen.“ Nun lebt die erwachsene Tochter im Senegal. „Sie war satt von Deutschland.“
Ulrike und Birane Ulrich- Gueye wohnen in einem Plattenhochhaus an den Elbwiesen. Sie arbeitet im Dresdner Frauenbildungszentrum, ein vom Nolte-Ministerium gefördertes Projekt für Frauen, die selbst in lokalen Frauenprojekten tätig sind.
Er hatte im Senegal Zollbeamte ausgebildet, jetzt paukt er seine tägliche Lektion Deutsch an der Volkshochschule. „Danach will ich erst etwas Geld verdienen. Aber später möchte ich gern studieren.“ Die Nachbarn freuen sich auf ihre Art über das Paar: „Wir erledigen die Hausordnung gemeinsam, oder sie sehen uns zusammen beim Einkauf. Und wir unterhalten uns auch mit den Leuten, die meist schon Jahrzehnte in dem Hochhaus wohnen. Seitdem Birane hier ist“, stellt Ulrike fest, „hat sich das Klima im Haus entspannt.“ Birane ist seinerseits voller Wohlwollen: „Ich mag die Deutschen. Sie sind diszipliniert.“ Rostock, Solingen, das sei deutsche Realität, ja, auch der Rassismus in Dresden, dem 1991 ein Mosambikaner zum Opfer fiel. „Doch ich erlebe auch eine andere Realität.“ Dieses Andere, das ihn hoffen läßt, in Dresden bleiben zu können, es ist eine als versöhnlich empfundene Normalität. „Ich habe deutsche Freunde, ich gehe mit meiner Frau in Restaurants. Wir verstecken uns nicht.“
In einem Gespräch nach der Uraufführung des Dokumentarfilms „Jorge“ über das erste Todesopfer rassistischer Gewalt im vereinten Deutschland hatte ein Mosambikaner berichtet, daß sich auch in der überfüllten Straßenbahn nie ein Weißer auf den Platz neben ihn setze. Birane versucht der Schmach zuvorzukommen: „Ich gehe auf die Deutschen zu.“
Bei der Hochzeit zum Beispiel. Da erschien nun die Familie seiner Frau, leicht reserviert bis ablehnend. Von ihrer Ulrike waren sie ja schon einiges gewöhnt. „Mir war die Welt immer zu klein gewesen in meinem Dorf bei Chemnitz. Mit 20 bin ich nach Dresden gegangen, zum Studium, das war 1975. Ich freundete mich mit einer Griechin an, sie nahm mich mit in den Studentenklub.“ Dieser Internationale Studentenklub in der Juri-Gagarin-Straße gab damals nicht nur ihr eine Ahnung davon, was die Welt außer Freier Deutscher Jugend noch zu bieten hat. „Ich erlebte die Musik, die verschiedenen Kulturen. Dort fühlte ich mich endlich zu Hause.“ Als sie später „mit meiner braunen Tochter“ das Heimatdorf besuchte, bekam sie zwar nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen – ihre Kleine war ja auch „so niedlich“ –, aber „Spannungen gab es immer“.
Doch mit dem Tag der Hochzeit normalisierte sich das Klima. „Ich habe den Anfang gemacht, mich mit ihrer Familie unterhalten“, berichtet wie ein verständiger Vater der Senegalese. „Durch ihn“, sinniert die Frau, „bin ich wieder ausgesöhnt mit den Deutschen. Und ich denke, ich kann hier jetzt mehr verändern als zuvor mit dem versteinerten Herzen.“ Die „lähmende Angst“ nach der Wende, als Dresden auf dem rechten Weg zur „Hauptstadt der Bewegung“ war, als sie die Tochter am liebsten gar nicht auf die Straße gelassen hätte, „die habe ich heute nicht mehr“.
Vor dem ersten Termin beim Dresdener Standesamt wußten die beiden vor allem eines: „Das wird ein schwerer Gang!“ Die Standesbeamtin habe sachlich und „äußerst reserviert“ Auskunft gegeben. „Dann ist die Frau von Termin zu Termin offener geworden. Wir haben acht Wochen gewartet, das ist wenig; andere binationale Paare warten über ein Jahr.“ Als die Beamtin grünes Licht für die Heirat gab, schilderte Ulrike ihr diesen Eindruck; darauf habe sie lächelnd geantwortet: „Lieber bin ich später freundlich, wenn ich weiß, daß Sie es ernst meinen, als daß ich gleich alles glaube und Sie sich dann ins Unglück stürzen.“
Die Deutsche und der Senegalese, sie konnten den unausgesprochenen Verdacht ausräumen, nur „eine Scheinheirat“ zu wollen. „Aber wir haben uns gedrängt gefühlt, einen Termin herbeizuführen, wir standen unter Druck“, bestätigen beide. Ein Zwang, der auch dazu führen könne, sich in Abhängigkeit zu begeben. Lieber hätten sie sich mehr Zeit gelassen mit dem Trauschein. „Doch diese Vorstellung, daß Birane vielleicht zuvor nach Senegal zurück muß, hat mir fast die Nerven zerrissen.“ Ulrike Ulrich findet es „fürchterlich, daß Menschen, die nicht aus EU-Staaten kommen, nur durch Heirat die Möglichkeit erhalten, hierzubleiben und sich auszuprobieren“.
Und auch dann nur in wenigen Oasen. Ulrich-Gueyes meinen sie gefunden zu haben in ihrem Freundeskreis, auch in ihrem Betonhochhaus. Das „Café Oase“ in der „Villa Regenbogen“ des Dresdener Ausländerrates wurde der Mittwochstreff nicht nur dieses binationalen Ehepaares. Hierhin gehen Leute, die über kulturelle und nationale Grenzen schauen, ja, einfach „AusländerInnen sehen“ wollen. Hält sich die Statistik an ihren Trend, und es gibt bisher nichts, das ihn umkehren könnte, dürfte das auf sächsischen Straßen und Plätzen immer seltener gelingen.
Im grün-weißen, CDU-regierten Freistaat leben unter gut viereinhalb Millionen Deutschen weniger als 62.000 AusländerInnen, rund 1,3 Prozent. Ende 1994 waren 7.380 AusländerInnen in laufenden Asylverfahren registriert, nur halb so viele wie im Vorjahr. Im Bundesdurchschnitt wurden 7,5 Prozent der Asylbegehren anerkannt; allein aus Sachsen wurden 2.854 Personen abgeschoben. Bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes frohlockte der sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU), der „eher geringe Anteil von Ausländern“ führe dazu, daß „auch der Anteil des Ausländer-Extremismus und -Terrorismus im Freistaat relativ gering ist“.
Auch für Birane ist noch nicht entschieden, ob er für immer in Deutschland bleiben kann. Zwar ankert er, wie es landläufig so anschaulich heißt, „im Hafen der Ehe“, doch muß er nicht Terrorist werden, um seine Aufenthaltserlaubnis zu verwirken. Es reicht, daß er oder seine Frau sich vor Ablauf von vier Ehejahren scheiden lassen.
Spätestens dann könnte der Staatsanwalt sich erkundigen, ob denn die beiden doch nur zum Schein verheiratet waren. Erst im Herbst vergangenen Jahres stöberte ein Beamter des Landeskriminalamtes in 350 Karteikarten des Dresdener Standesamtes.
Er war deutsch-türkischen Eheschließungen auf der Spur, die zur „Erschleichung einer Aufenthaltserlaubnis“ eingegangen worden sein sollen. So der Verdacht, den die Beamten als Nebenprodukt ihrer langwierigen Ermittlungen gegen internationale Autoschieberbanden geschöpft hatten. So sollten daraufhin ein Rechtsanwalt und seine armenische Frau mit türkischem Paß in einem Ermittlungsverfahren beweisen, daß ihre Ehe „glaubwürdig“ sei.
Das Verfahren mußte eingestellt werden. Gleichwohl belehrte Justizminister Steffen Heitmann (CDU) KritikerInnen im Landtag, daß „strafrechtliche Ermittlungen gegen deutsche und ausländische Staatsangehörige“ bei „gegebenem Anfangsverdacht weder erniedrigend noch diskriminierend“, sondern „gesetzlich geboten“ seien.
Und Polizeiminister Eggert, der jede halbwegs straff geführte Gangsterbande gleich zur „organisierten Kriminalität“ erklärt, mochte die Exkursion seiner Beamten in standesamtliche Datenkästen nicht als „Rasterfahndung“ kritisiert wissen. Immerhin hätten seine Kriminalen allein und freihändig die Heiratskartei durchblättert, ein „maschineller Abgleich“ der personengebundenen Daten habe nicht stattgefunden.
„Ich glaube das dem Eggert“, gesteht Kati Böhme-Retini, Dresdener Sprecherin für die Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF). „Rasterfahndung war gar nicht nötig. Er kann jederzeit auf das Ausländerzentralregister zurückgreifen.“ Für AusländerInnen gelte eben anderer „Datenschutz“ als für Deutsche. „Aber diese Jagd nach vermeintlichen Scheinehen nährt doch die schlichte Vorstellung vieler Leute, Ausländer bräuchten sich hier nur einen Partner zu suchen – ab zum Standesamt, und alles ist in Butter.“ Statt dessen grenze es „schon an ein Wunder, wenn eine oder einer es schafft, für die Heirat alle Papiere zusammenzubekommen“.
Die IAF berate binationale Paare deshalb vor allem darüber, wie sie bürokratische Hürden nehmen können. „Wenn jemand mit dem Vorhaben zur Beratung käme, eine Scheinehe einzugehen, und sei es aus gut gemeinten, solidarischen Gründen, würden wir abraten. Die damit verbundenen Konflikte sind zu groß!“
Nicht „Scheinehen“ seien das Problem, sondern diese ausgrenzende Botschaft: „Ihr seid Ausländer, und Ihr bleibt Ausländer.“ Einer der afrikanischen Besucher des „Café Oase“ hört in Gedanken sogar wieder die Neonazis in Dresdens Straßen grölen: „Wir kriegen euch alle!“ Ulrike Ulrich sieht den behördlichen Zeigefinger mahnen: „Du mußt dich in der Ehe anständig benehmen, dann kann dein Mann bleiben.“ Ob sie und Birane in Deutschland bleiben werden, das ist noch nicht ausgemacht. Jetzt wird erst mal gespart für einen Besuch im Senegal. Mal abwarten, was daraus wird. „Wenn die Liebe bleibt“, ist Birane überzeugt, „können wir alles erreichen.“
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