Vergessene Opfer des afghanischen Bürgerkriegs

■ In der entlegenen Berg-Provinz Badachschan droht eine Hungersnot

Berlin (taz) – Eine „ökologische und humanitäre Katastrophe“ bedroht die Provinz Badachschan im Nordosten Afghanistans. Wenn nicht bald internationale Hilfe kommt, sei dort ein Desaster wie in den siebziger Jahren in Äthiopien zu befürchten, warnte in Genf der Chef eines gemeinsamen Teams des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und dessen muslimischer Schwesterorganisation, des Roten Halbmondes, das jetzt aus dem Gebiet zurückgekehrt ist.

Die Hilfsmannschaft war ursprünglich in diese entlegene Region im Pamir-Gebirge gereist, um Hilfsmaßnahmen für ein Dorf einzuleiten, das bereits Ende März von einer Schlammlawine verschüttet worden war; dabei waren etwa 350 Menschen ums Leben gekommen. Die Gruppe fand nicht nur das Dorf unter einer zehn Meter dicken Schlammschicht begraben, sondern stellte fest, daß die Lage in Badachschan insgesamt desolat ist. Die ganze Bevölkerung – schätzungsweise eine Million Menschen – befinde sich „am Rande des Verhungerns“, hieß es in seinem Bericht. Ursache seien mehrere aufeinanderfolgende Mißernten und der seit 1979 andauernde Bürgerkrieg.

Badachschan, ein Landstrich von der Größe Niedersachsens, befindet sich weitgehend unter Kontrolle der afghanischen Regierungstruppen. Bereits Anfang April hatte das Irische Rote Kreuz vor einer Krise in der Nordhälfte Badachschans gewarnt, das zur Afghanistan benachbarten Republik Tadschikistan gehört und ebenfalls von einem Bürgerkrieg erschüttert wird. Auch hier hatten Hilfsmannschaften halbverhungerte Menschen ohne Nahrungsmittel- und Brennstoffvorräte gefunden.

Die Agha Khan Foundation, eine der wenigen in diesem Gebiet aktiven Hilfsorganisationen – die Bevölkerung beider Teile Badachschans besteht mehrheitlich aus Ismailiten, einer muslimischen Minderheit, deren Oberhaupt der Agha Khan ist – berichtete, 40 Prozent aller Kinder dort seien unterernährt.

Wie Süd-Badachschan ist das Gebiet während des Winters, der hier von September bis Mai dauert, auf dem Landweg leichter zu erreichen. Da Badachschan als Hochburg der tadschikischen Opposition gilt, sperrt die Regierung in Duschanbe im Sommer oft die Zufahrtsstraßen. Dann können die 200.000 Einwohner nur noch über eine Zugangsstraße, die von Kirgistan entlang der Grenze zu China über bis zu 4.000 Meter hohe Pässe führt, versorgt werden. Thomas Doyle vom Irischen Roten Kreuz und IKRK-Delegierter für Nord- Badachschan befürchtet, daß der nächste Winter kritisch wird. „Ich darf nicht daran denken, was passiert“, sagt er, „wenn die internationale Gemeinschaft nicht rechtzeitig Hilfe schickt.“ Thomas Ruttig