Friede Deinen Haaren

■ Yoko Ono läßt endlich John Lennons private Zeichnungen aus dem Sack, und die Bremer Kunsthalle feiert John Lennon als lebendes Gesamtkunstwerk

„Stellt Euch mal vor“, sprach einst John Lennon, „ein Schwarzer würde sich in einem Sack bei der BBC um einen Job bewerben. Man wüßte nicht mehr, wer farbig ist, und es gäbe keine Vorurteile mehr!“ Imagine...

Stellen wir uns mal vor, ein Haufen Tuschezeichnungen würde in einem Sack bei der Bremer Kunsthalle abgegeben. Absender: unbekannt. Inhalt: 120 Blätter mit privaten Skizzen und Notizen. Flott im Strich, locker aus dem Handgelenk zu Papier gehuscht. Schmunzelnd würden es die Bremer Museumsleute zur Kenntnis nehmen – und es dabei bewenden lassen.

„Bagism“ nannten John Lennon und Yono Ono ihre Idee, durch gezielte Verhüllung von Objekten und Subjekten mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Äußerlichkeiten sollten keine Rolle mehr spielen, nur noch Inhalte. Mehrfach traten John & Yoko selbst in einem großen, weißen Sack auf: Nicht die berühmten Gesichter sollten zählen, sondern allein ihre politischen Äußerungen.

Nun ist leider vieles Utopie geblieben, was Lennon sich zu Lebzeiten erträumte. So werden auch seine Zeichnungen heuer vor allem wegen des prominenten Urhebers ausgestellt, nicht wegen ihrer besonderen grafischen Qualität – diese nämlich findet sich nur in wenigen seiner raren Blätter.

Gleichviel: Die Kunsthalle hebt nun an, „den bildenden Künstler und Literaten zu entdecken“. Unabhängig vom Beatleruhm will man erstmals „das künstlerische Werk von John Lennon vorstellen“ – so der Anspruch von Direktor Wulf Herzogenrath. Hauptsächlich stellt er – erstmals in Deutschland – die Zeichnungen Lennons aus. Dieser Schwerpunkt der Schau aber enthält eher leichtgewichtige Kunst.

Flüchtige Gedanken sind hier zu Papier geflossen. Lennons Zeitgenossen sind mal mehr, mal weniger karikiert in Alltagssituationen zu sehen. Eine Dame führt ihr Hausschwein aus; ein Fan baut sich in ganzer Häßlichkeit auf der Straße auf. Ansonsten: John & Yoko, Yoko und John. Lennon wundert sich übers Älterwerden (“Auf einmal bin ich 38!“). Lennon wird auf dem Futon massiert; Lennon schwebt irgendwo in den Wolken. Sehr oft, berichtet Yoko Ono, spiegelten die Zeichnungen „seine momentane Stimmung wieder“. Als private Momentaufnahmen erscheinen sie auch der Form nach: Rasch und in einem Zug aufs Blatt gestrichelt, ohne besondere Kompositionsidee – weder besonders pointiert noch besonders inspiriert, alles offenbar sehr zufällig und ohne weiterführende Hintergedanken. An eine museale Präsentation hat Lennon bei seinen Notizen nie gedacht.

Aber es gibt Ausnahmen. Einige der Bilder kamen tatsächlich zu Lennons Lebzeiten ans Licht der Kunstöffentlichkeit – in einem veritaben Sack: „Bag One“ nennt sich eine Sammlung von Lithografien, die Lennon 1969 mit einigem Aufwand für den US-amerikanischen Grafikverleger Ed Newman produzierte. Der brachte die Edition in einer weißen Kunstledertasche heraus. Bekanntheit erreichten die Arbeiten wiederum weniger wegen ihrer Qualität, sondern aufgrund eines Skandälchens. Im Januar 1970 fühlten sich einige Beamte von Scotland Yard bemüßigt, acht Blätter der Mappe in einer Londoner Galerie zu konfiszieren – der Inhalt sei „zu erotisch und anstößig“. Tatsächlich hatte Lennon John & Yokos Liebesleben auf einigen Blättern lustvoll ausgebreitet – auch nicht anders als Picasso, wie ein Gericht drei Monate später beschied.

Trotzdem: Die Bilder aus dem Sack bieten den einzigen wirklichen Höhepunkt der Bilderschau. Hier erscheinen die Zeichnungen wirklich wie aus einem Guß. Schwungvoll und zielsicher führt Lennon die breiten Striche übers Blatt. Dabei läßt er den Linien zugleich scheinbar freien Lauf. Konturen lösen sich auf, Bildelemente fließen harmonisch ineinander; auf dem schönsten Blatt der Reihe verwuseln sich die wildromantisch wallenden Haare von John & Yoko so herrlich, daß beide tatsächlich zu einem einzigen Wesen verschmelzen – Imagine...

Am überzeugendsten wirkt Lennon, der Zeichner, dort, wo er alles auf dem Art College gelernte einfach fahren läßt. Frei von perspektivischer Genauigkeit, von zurechtgebastelten Proportionen und Verkürzungen, bekommen seine Bilder gelegentlich jene Qualitäten, die man an Lennon, dem Musiker und politischen Aktivisten schätzte und schätzt: Spontaneität, intuitive Genauigkeit und radikale Formgebung.

Würde sich die Bremer Schau auf die Zeichnungen beschränken – es käme nur wenig von diesen Qualitäten zum Vorschein. Aber das neue Kunsthallenteam faßt den Kunstbegriff eben um einiges weiter. Hier wird nicht Lennon, der Zeichner, entdeckt, sondern John & Yoko, das lebende Gesamtkunstwerk. Experimentalfilme, teils Vorläufer der Musikvideos; Multiples; Fotografien; Plakataktionen; Performances – all das, was das dynamische Duo im Zeitraum von knapp zehn Jahren ausheckte und ausformte, ist hier beispielhaft und anregend ausgebreitet. Das ist viel mehr als nur ein Rahmenprogramm für die Zeichnungen. Hier wird wirklich ein bißchen der rastlose Lennonrummel der 70er Jahre spürbar. Im zentralen Raum der Ausstellung hat man konsequenterweise die „Bed-In-Performance“ nachgebaut, die das Paar 1969 im Hilton Amsterdam inszenierte. Unter ständiger Kamerapräsenz redeten, dichteten, spielten und philosophierten John & Yoko, tagein, nachtaus. Wenn das Spektakel heute noch einmal nachempfunden wird, dann wird dabei auch der Medienkünstler Lennon sichtbar: Von sensationslüsternen Reportern gejagt, die alle privaten Regungen des Paares an die Öffentlichkeit zerrten, drehte Lennon irgendwann den Spieß um. Er zerrte die Öffentlichkeit mit ins Bett, um dort seine Botschaften zu verbreiten.

Wenn die Kunsthalle diesen Rummel jetzt nochmals vorführt, dann läuft natürlich das gleiche Spielchen ab. Kameras allenthalben, die sich wahrscheinlich gierig auf die erotischen Zeichnungen aus Lennons Kunstsack schmeißen. So wird jedes Lennon-Spektakel stets auch zu einem hübsch ironischen Medienkunst- und -lehrstück; und die Kunsthalle läßt sich lustvoll darauf ein. John Lennon hätte seine Freude daran gehabt.

Thomas Wolff

„Original John Lennon“, bis 13.8. in der Kunsthalle Bremen