Tories fordern Recht auf Korruption

■ Wird das Abgeordnetenleben durch „Nebenverdienste“ erst schön? Britische Hinterbänkler sauer über Nolan-Bericht

Dublin (taz) – Die parlamentarische Demokratie in Großbritannien sei in akuter Gefahr, glaubt der konservative Abgeordnete Alan Duncan. „Sie sind dabei, die höheren Berufsstände aus dem Unterhaus zu jagen“, beschuldigte er Lord Nolan, den er vor dem Parlamentsgebäude abgepaßt hatte. „Das ist ein sehr, sehr gefährliches Spiel.“ Lord Nolan hatte in der vergangenen Woche 55 Maßnahmen gegen Korruption in der Politik vorgeschlagen. Vorgestern abend debattierte darüber das aufgeregte britische Unterhaus. Was den Tory-Hinterbänklern besonders auf den Magen schlägt, ist Nolans Forderung, daß sie ihre Einkünfte offenlegen und künftig nicht mehr für private Lobbyfirmen arbeiten sollen. „Es ist doch eine gute Sache, wenn Leute aus der oberen Mittelschicht ins Unterhaus kommen“, sagte der ehemalige Staatssekretär Archie Hamilton, der im vergangenen Jahr wegen Korruption seinen Hut nehmen mußte, „aber wenn sie das für 32.000 Pfund im Jahr tun sollen, dann bleiben sie einfach weg.“

Der Alterspräsident und Ex- Premierminister Sir Edward Heath machte sich zum Sprecher der erbosten Hinterbänkler, die Konsequenzen aus Nolans Bericht bis nach den nächsten Wahlen in zwei Jahren verzögern wollen. Heath bezeichnete Lord Nolan als weltfremd und sagte, es gebe „so etwas wie eine Privatsphäre“. Er fügte hinzu: „Als ich 1950 ins Unterhaus einzog, galt jeder Abgeordnete automatisch als integer. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, wo jeder Mann und jede Frau in diesem Haus mit Argwohn betrachtet wird.“

Premierminister John Major hatte den Nolan-Untersuchungsausschuß im vergangenen Jahr nach einer langen Kette von Skandalen eingesetzt, bei der ein Ende nicht in Sicht ist: Parlamentspräsidentin Betty Boothroyd wird am Montag einen neuen Untersuchungsausschuß einsetzen, der sich mit dem Tory-Abgeordneten Jerry Wiggin beschäftigen muß. Wiggin hatte einen Antrag ins Parlament eingebracht, wodurch die Versorgung von Ferienparks mit Naturgas erleichtert werden sollte; da Wiggin als Berater für den Verband britischer Ferienparks arbeitet, stellte er den Gesetzesantrag kurzerhand im Namen seines Parteikollegen und Ex-Leichtathletik- Champions Sebastian Coe – ohne den zu fragen.

Major sitzt nun in der Tinte: Brüskiert er seine eigenen Hinterbänkler und setzt Nolans Empfehlungen durch, vergrößern sich die Chancen für einen parteiinternen Putsch im Herbst. Wirft er den Bericht dagegen in den Papierkorb, gibt er der Labour-Opposition ein schwerwiegendes Argument im Wahlkampf in die Hand. Ralf Sotscheck