„Na, John, ist wohl nicht Dein Tag heute“

■ Nichts sehen, aber gesehen werden: Halb Bremen eröffnete die John Lennon-Ausstellung in der Kunsthalle

„Hier lebt John Lennon seit drei Jahren wie in einer Zelle. Abgesehen von den Sommerferien in Japan verläßt er das Doppelbett kaum, klammert sich daran, wie ein Schiffbrüchiger an eine Rettungsinsel.“

Ein Bild, eilig hingeworfene Striche: John Lenneon schwimmt, hinter ihm eine Dreiecksflosse. Ein paar Zeilen japanisch, die Übersetzung findet sich auf dem Schildchen neben der Zeichnung. „Je mehr Du schwimmst, desto besser ist es für Deinen Körper.“

Die Luft ist zum Schneiden, eine Mauer von Leibern schon weit vor dem Eingang zu dem viel zu kleinen Saal in der Kusthalle. Da wird gerade Yoko Ono interviewt, sagt man. Die draußen sind auf die Stille Post von denen drinnen angewiesen. „Was hat sie gesagt?“ – „Weiß ich auch nicht genau.“ – „Das soll im Radio übertragen werden, ist ja auch von Radio Bremen.“ – „Hätte ich doch bloß mein Radio mitgebracht.“ Keine zwanzig Meter sind die schwitzenden Menschen draußen vor der Tür von der Bühne drinnen entfernt, und doch viel weiter weg, als wenn sie zu Hause im Sessel sitzengeblieben wären.

Drinnen singen und lesen jetzt Ulrich Tukur und Maren Kroymann. Schön das, allein: Man hört nichts, man sieht nichts. Die ersten sind schon nach ein paar Minuten wieder abgedreht und enttäuscht den Ostertorsteinweg hinuntergelaufen. „Das können Sie vergessen. Viel zu viele Leute. Die haben doppelt so viele reingelassen, als reingehen.“ Die Wütenden und die Pfiffigen belagern das Kassenhäuschen. Da wird in Großbuchstaben geredet. „Ich will sofort mein Geld zurück. Eine Unverschämtheit. Es hat geheißen, hier wäre Musik.“ Die arme Frau hinter der Scheibe weiß schon nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Von vorne dröhnt es auf sie ein, und an der Seite hat sich die Billigkonkurrenz breitgemacht. „Brauchen Sie –ne Karte? Hier, halber Preis.“

Der Chef der Kunsthalle glüht: „Ich bin begeistert.“ Kein Wunder, der Laden brummt. „Vor allem die Jugendlichkeit des Publikums ist mir eine besondere Freude“, sagt Wulf Herzogenrath. Aber warum gibt's keine Musik, wenn John Lennon ausgestellt wird? Das war die Frage der Fragen für viele der BesucherInnen. Ganz einfach zu beantworten für den Museumsmann. Alles Absicht: „Wir wollten keine Beschallung. In jedem Raum gibt es ein Terminal, in dem kann man sich einstöpseln.“ Kopfhörer gibt–s für zwei Mark an der Kasse, kann man aber auch mitbringen. Wäre aber auch ziemlich sinnlos gewesen beim Eröffnungsevent; es waren zwar nur ein paar BremerInnen, die sich mit Hörhilfen versorgt hatten, aber allemal genug, die Stöpselkapazität der Kunsthalle abendfüllend auszulasten.

„Dieser unnatürliche Schimmer rührt daher, daß er jeden Tag ein dutzendmal badet und sich doppelt so oft Gesicht und Hände wäscht. ... Er haßt jeden körperlichen Kontakt. ... In der Regel vermeidet er es, irgend jemanden zu berühren. Wenn er den kleinen Sean in einem seltenen Anflug väterlicher Zuneigung auf die Knie nimmt, dann so, daß der Junge ihm den Rücken zukehrt und ihm keinen feuchten Kuß geben kann...“

Menschen dicht an dicht um ein Bett. Die Simulation des berühmten Amsterdamer Bed-In. Ein Fernseher steht auf der Matraze und zeigt die Aufnahmen des berühmten Amsterdamer Bed-In. Zu sehen: Menschen dicht an dicht um ein Bett, die Fotografen liegen fast auf dem Fußende. Interviews mit dem zugewachsenen John Lennon und Yoko Ono im Nachthemd. Zu hören: nichts. Zu sehen: Ein Mann zieht sich aus bis auf die dunkelblaue Feinripp-Unterhose und will sich einkuscheln. „Das könnte ich jetzt auch“, sagt eine Frau, seufzt über ihre müden Vernissagenbeine und blickt sehnsuchtsvoll auf die himmelblaue Tagesdecke in Rippenfrottee.

Menschen dicht an dicht um ein Bett. Drauf läuft der Fernseher, und davor sitzt sie, Yoko, zusammen mit ihm – nicht John, sondern Jean – Jean Koch vom „Swutsch“. Wenn man über einsachzig ist und sich auf die Zehenspitzen stellt, kann man Yoko Ono sprechen sehen - hören leider nicht. „Man steht hier nur blöd rum. Ich bin total enttäuscht“, sagt eine Frau total enttäuscht und erntet zustimmendes Gemurmel. Bleibt aber genauso stehen wie die Murmler. Mit dem Rücken zu den Bildern. Es riecht nach feuchtwarmen Leibern.

Wen interessieren schon die Bilder bei einer Vernissage? Ganz blöde Frage, weil: „Man kann nicht gleichzeitig sehen und gesehen werden“, erklärt ein kunstsinniger Mann. Mit dem Rücken zu den Bildern.

Nicole Wilde ist eine Banckauffrau aus dem Schwäbischen. Nicole Wilde ist ein Fan. Überall, wo Yoko Ono in Deutschland auftaucht, da ist Nicole Wilde. Seit 1986. „Wegen der Fluxus-Kunst“ von Yoko Ono. Aber da müßte ihr doch John Lennon eher Wurscht sein. „Nein, das kann man nicht trennen. Schließlich waren die ja jahrelang verheiratet.“ Die Ausstellung findet sie „ganz toll“. Gerade die Multimedia-Terminals.

Rico (fast elf) findet die Ausstellung „geil“, sagt seine Mutter. Rico ist Beatles-Fan, seit zwei Jahren schon. Andere Musik interessiert ihn höchstens orthographisch: „Mama, wie schreibt mach Techno?“ Das Autogrammheft hat er bei Euro-Disney gekauft. Pluto und Mickey hat er schon. Zu gerne hätte er ein Autogramm von Yoko gekriegt. Hat aber nicht geklappt, wegen der Bodyguards.

Musik, von irgendwo kommt doch Musik. Auf einem Höckerchen plärrt in Kniehöhe ein Grundig „Music Boy“. Das muß das Radioprogramm sein. Die Beatles? Kann nicht sein, eine Frauenstimme: „I don–t believe in Beatles. I believe in me.“

„Neuerdings ist sein Kampf gegen Nahrung allerdings nicht mehr ganz so unerbittlich wie früher. ... Aber er mißt seine Taille immer noch jeden Morgen mit einem Bindfaden ab, und wenn er sündigt, indem er etwas Verbotenes ißt, eilt er anschließend ins Badezimmer und steckt sich den Finger in den Hals.“

Mitternacht, die Säle ergießen sich in die Ostertor-Bistros. Der Fernseher wird vom Bett geräumt, denn dort präsentiert jetzt das Bremer Theater John Lennon. Die Beatles-Songs, die Lennon-Songs, die eingängigen Melodien bis zur Kenntlichkeit zerhackt, plötzlich gähnen Abgründe: „One thing you can–t hide is the cripple inside“. Lennon-Prosa in pubertärer Geheimsprache, Wortwitze aus Klasse Sieben. Und dann das Hippiemädchen, wie es entrückt und mit verklärter Miene „Imagine“ singt, im Lotossitz, die Augen auf Durchzug. Das Ende, ein sarkastischer Text. Letzte Zeile: „Na, John, alter Junge. Ist wohl nicht Dein Tag heute.“ Jochen Grabler

Zitate aus: „John Lennon – Ein Leben“ von Albert Goldman