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Klub der empfindsamen Seelen

Wildes Schattenboxen im Kindergarten: Die Jahrestagung der beiden deutschen PEN-Zentren in Mainz  ■ Von Jürgen Berger

Es war kurz vor der Wahl des neuen PEN-Präsidiums, als einige Mitglieder amüsiert den Saal verließen. Einem entschlüpfte das Wort „Kindergarten“. Was war passiert? Günter Wallraff hatte einen Antrag formuliert, das deutsche PEN-Zentrum „möge den Börsenverein des Deutschen Buchhandels auffordern, seine gutgläubige Entscheidung zu revidieren, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Prof. Dr. Dr. Annemarie Schimmel zu vergeben“. Das taten die etwa hundert anwesenden Mitglieder denn auch.

Danach allerdings wurden plötzlich Bedenken laut und der bereits gefaßte Beschluß noch einmal zur Abstimmung gestellt. Die neue Variante: Man müsse der Verteidigerin der Fatwa gegen Salman Rushdie und dem Börsenverein zuerst einmal dezidierte Fragen stellen, da der Aufruf nicht nur aufgrund von Zeitungsberichten beschlossen werden könne.

Ein „Kindergarten“? Die Zurücknahme des bereits gefaßten Beschlusses ist zumindest symptomatisch für den derzeitigen Zustand des deutschen PEN-West und seine Schwierigkeiten mit den Schwestern und Brüdern im Osten.

Eigentlich sollen beide Zentren sich vereinigen. Der Internationale PEN drängt, da zwei Zentren in einem Land laut Satzung nicht zulässig sind. Der Ost-PEN wollte bis vor kurzem noch liebend gerne vor den Traualtar, was im West-PEN zu einer Zerreißprobe führte. Vor allem ehemalige DDR-Dissidenten wie Günter Kunert würden am liebsten Schützengräben zwischen sich und jenen ausheben, mit denen sie vor ihrer Ausbürgerung an einem Tisch saßen. Der Ost-PEN reagierte auf solche Animositäten, indem er seine Teilnahme an der diesjährigen Jahrestagung des Westzentrums in Mainz wieder absagte. Nichts geht mehr, das allerdings wollte man sich nicht eingestehen. Wie sonst wäre zu erklären, daß lediglich Johannes Mario Simmel mahnte, man solle sich nicht noch lächerlicher machen, als bereits geschehen?

Mahnen, Rufen, Flehen

Ein einsamer Rufer in der Wüste. Die Klärung der Ost-West-Frage und die damit eng verknüpfte Neuwahl des Präsidiums führte zu einer weiteren Vertiefung der Gräben. Der alte Präsident, Gert Heidenreich, stellte sich wegen der Vereinigungsquerelen nicht mehr zur Wahl.

Vor der Mainzer Tagung hatte sich bereits abgezeichnet, daß Ingrid Bachér neue Präsidentin wird. Es wurde eine Richtungswahl. Bachérs Kurs, zuerst einmal keine Vereinigung mit dem Ost-PEN anzustreben (sie hatte sich einem Antrag von Yaak Karsunke angeschlossen), veranlaßte das gesamte bisherige Präsidium, nicht mehr zu kandidieren. Einen neuen Generalsekretär zu finden, war hinterher kaum noch möglich. Als Ingrid Bachér doch noch fündig wurde und überraschend den Verleger und ehemaligen Generalsekratär der Westberliner Akademie der Wissenschaften präsentierte, stand den meisten ehrenwerten Klubmitgliedern die Frage ins Gesicht geschrieben: Wer eigentlich ist Manfred Schlösser?

Das Kind war im Brunnen, Ingrid Bachér flehte die ehemalige Vizepräsidentin Carola Stern förmlich um weitere Unterstützung an, und es kam fast schon wieder Rührung auf.

Es half nichts. Übrig blieb lediglich der Schatzmeister des PEN. Daß das grunderneuerte Präsidium – Carola Stern, Bernd Jentzsch und Gerhard Schoenberner gingen, der Exiliraner Said, Wolfgang Hegewald und Lea Rosh kamen – künftig auf ein einheitliches deutsches PEN-Zentrum hinarbeitet, wurde von den Neupräsidialen beteuert. Folgen sie dabei allerdings dem zentralen Satz der neuen Ost-West-Leitlinien, sind ihnen die Hände gebunden: „Solange sich das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) nicht unzweideutig und konsequent von der Staatsverstrickung des DDR-Zentrums (die nach jüngsten Aktenfunden nicht nur Stasi-, sondern auch KGB-Kontakte einschloß) distanziert, kann es keine Gemeinsamkeit geben“, so steht da zu lesen.

Im Klartext heißt das: Erst wenn der Ost-PEN sich selbst auflöst, entscheidet der Westklub (500 Mitglieder), welches der frei flottierenden Ostmitglieder (die Hälfte der 150 Ostmitglieder wurde nach der Vereinigung neu hinzugewählt) in den gesamtdeutschen PEN darf.

Daß der Ost-PEN sich darauf einläßt, ist kaum anzunehmen. Nicht durchgesetzt hat sich ein Antrag des ehemaligen Präsidiums, in dem betont wird, einem gemeinsamen deutschen PEN-Zentrum dürfe kein Mitglied angehören, „das gegen die PEN-Charta verstoßen hat“. Und weiter: „Das Präsidium wird beauftragt, gemeinsame Veranstaltungen zu initiieren, um über Übereinstimmungen und Differenzen miteinander zu reden.“ Zu solchen „gemeinsamen Veranstaltungen“ wird es in absehbarer Zeit nun nicht kommen, was nicht zuletzt daran liegt, daß auch die Lager im PEN-West nicht mehr miteinander reden. Nicht verwunderlich, sieht man sich die Ouverture der Jahrestagung an, in der es am Ende nur noch um Stilfragen, Eitelkeiten und Verletzbarkeiten ging.

Ausgangspunkt war ein Tritt ins Fettnäpfchen von Expräsident Heidenreich, der Ende letzten Jahres vor dem Ost-PEN verkündete, in der nächsten Mitgliederversammlung des West-PEN werde es sicher eine Mehrheit für einen Zusammenschluß geben. Es folgte ein umstrittener Rundbrief an die eigenen Mitglieder, in dem er Vorbereitungen zur Formulierung von Kriterien ankündigte, „unter denen mögliche Gespräche beider Zentren miteinander stattfinden können“.

Das rief Günter Kunert auf den Plan, der nicht etwa direkt an Heidenreich schrieb, sondern im Feuilleton der Welt mutmaßte, der Präsident wolle den Ost-PEN als „rechtlich einwandfreie und gleichberechtigte Institution anerkennen und alle Mitglieder insgesamt übernehmen“. Aus der „Vorbereitung von Gesprächen“ war über Nacht eine „En-bloc-Übernahme“ geworden, mit der sich Heidenreich, so Kunert, Stimmvieh für künftige Wiederwahlen sichern wolle. Der Präsident, ein Kohl im Westentaschenformat und auf dem Weg, seine Präsidentschaft ins nächste Jahrtausend zu retten? Oder hatte Kunert lediglich Öl ins Feuer der eigenen Selbstvermarktung gegossen, was im artenreichen PEN-Biotop nicht selten vorkommt, vor allem wenn man ansonsten gerade nichts zu Papier bringt?

Eine andere Variante der Diskussionskultur führten Herta Müller, Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich und Richard Wagner vor, die für den Fall eines Nachdenkens über eine Ost-West-Fusion vorsorglich ihren PEN-Austritt ankündigten.

Pfadfindertum

Die Fundamentaloppositionellen, die während der gesamten Jahrestagung wie ein eingeschworenes Fähnlein aufrechter Pfadfinder auftraten, waren im Vorfeld ein gefundenes Fressen für die FAZ, was ihnen wiederum den Vorwurf einbrachte, sie hätten sich instrumentalisieren lassen. Klaus Staeck etwa meinte, man solle konsequenterweise FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zum neuen PEN- Präsidenten wählen, damit klar sei, wer die Klubpolitik bestimme. Darauf Lutz Rathenow in der Rolle des betont witzigen Ewigdissidenten: Man müsse ja in der FAZ schreiben, da Klaus Staeck lediglich die Zeitung des Klassenfeindes und nicht wie er, Rathenow, fünfzehn Zeitungen lese.

Glücklicherweise kam es anschließend nicht zu einem massenhaften Lektüre-Outing der Klubmitglieder. Offenbar hinkt man in der Lektüre aber etwas hinterher, denn während der gesamten Tagung wurde mit keinem Wort der Kurswechsel in der FAZ und Friedrich Dieckmanns noch druckfrischer Artikel erwähnt. Dieckmann meint, die Existenz zweier Zentren sei anachronistisch. Sein Vorschlag: Ein Gremium aus beiden Präsidien solle das „Schattenfechten“ beenden und die Mitglieder eines neuen PEN benennen. Was im Klub der empfindsamen Seelen auch fehlte: ein Bewußtsein davon, daß die interessierte Öffentlichkeit und der Internationale PEN mit völligem Unverständnis auf die Nabelschau seines deutschen Ablegers reagiert. Eine Folge des Schmorens im eigenen Saft. Der Bericht von Gerhard Schoenberner (auch er stellte sich nicht mehr zur Wahl und wird durch Said abgelöst) zur Lage der „Writers in Prison“ wurde nur als Marginalie behandelt. Mit so etwas will man sich eigentlich nicht befassen, ebensowenig wurde konkret darüber gesprochen, welche der Ostkollegen denn nun im Verdacht stehen, Stasi-vorbelastet zu sein. Begreiflicherweise, denn den wenigsten Mitgliedern des West- PEN dürften überhaupt die Namen ihrer Ostkolleginnen und -kollegen geläufig sein. Nicht jeder studiert wie Joachim Walther (er wurde neu in den Beirat gewählt) monatelang die Gauck-Akten und spürt den Verstrickungen der Ostschriftsteller unter dem alten Regime nach.

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