Ein Raum für sich: Scholle im Eismeer
■ Christoph Rütimanns Installation in Münster
Das ist schön, sagte sie. J., bald fünfzehn, und dieser Tage durch den Anflug – wie wir hoffen – eines Virus gelähmt. Es war also keine Kleinigkeit, sie in den ersten Stock des Westfälischen Landesmuseums zu bekommen, wo der Kunstverein einen Oberlichtsaal hat, ein Raum von frappierender Kargheit, mit Steinboden. Die Rückwand ist fünffach gestaffelt, was den Garagenappeal etwas mindert. Das Ding, nicht klein, ist für Künstler mit etwas Wucht nicht schwer zu bespielen; aber um es zur Brillanz zu bringen, muß man sich etwas einfallen lassen.
Christoph Rütimanns Installation ist schlicht und ergreifend. Eine weißgelbliche Ebene, deren Nähte das Procedere der Herstellung noch ahnen lassen, hebt von der Diagonale des Raumes ab und steigt gegen die gestaffelte Wand schräg an. Am höchsten Punkt in der hintersten Ecke des Raumes ist die Erhebung deutlich über Kopfhöhe, aber auch deutlich unterhalb der Decke. Der Effekt ist nicht überwältigend und soll es auch nicht sein. Aber ein wenig schwindelerregend. Die rückwärtigen Wände kippen nach hinten. Indem die Kanten der Ebene weder mit dem Boden noch mit den Wänden ganz abschließen – es gibt einen exakt kalkulierten Spalt –, scheint das ansteigende Zickzackding zu schweben, etwas von einer Scholle im Eismeer.
J. von links und rechts stützend, waren wir ein eher schwerfälliges Mobil im erstarrten Ambiente. Während die eingezogene Ebene uns sofort einleuchtete (genau das), sahen wir den Sinn der schweren, rückwärtig gelb gefärbten Glasplatten erst später ein.
Sie stehen an die Wände gelehnt und kippen in der Spiegelung den Raum nochmals in andere Winkel. Sie sind aber auch chiffrenhaft reduzierte Bilder in einem Ambiente, das in seiner Reinheit und seinem Schliff zunächst „natürlich“ wirkt. Erst nachdem wir die begehbare Hälfte des Raums ganz gut ausgelotet hatten, merkte J., daß dies derselbe Raum war, in dem vor ein paar Wochen die kleinen, leuchtenden Fotografien von Stephen Shore gehangen hatten. Ich wünschte, ich hätte mit ihrer Illusion tauschen können: Einen Raum zu betreten, in dem man noch nie gewesen ist. Der industrielle Zuschnitt von Rütimanns „Medien“, verbunden mit seinem reduktiven Einsatz von Farbe und Färbung, ist wohl der Schlüssel der geglückten Verwandlung. Oder anders gesagt: Sein Kunstgriff besteht weniger darin, etwas Extraordinäres hinzuzufügen, als eher dem Raum, den er für sich hat, ein paar Merkmale gewaltlos zu nehmen. Ulf Erdmann Ziegler
Bis 4.6., im Westfälischen Kunstverein.
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