: Kampf um die Kontrolle des SIS
■ In der Slowakei werfen sich die Parteien Mißbrauch des Geheimdienstes vor
Eines kann man der slowakischen Regierung derzeit bestimmt nicht nachsagen: Faulheit. Seitdem Vladimir Mečiar Ende 1994 erneut zum Premierminister gewählt wurde, vergeht kaum eine Woche, in der die Koalition aus Nationalisten und Neokommunisten dem Parlament nicht ein neues wichtiges Gesetz vorlegt. Der „starke Mann“ der Slowakei sichert seine Macht, zweimal wurde er bereits abgesetzt, ein drittes Mal soll ihm dies nicht passieren.
Bereits im Februar hatte die Regierung daher versucht, auch den Geheimdienst unter ihre Kontrolle zu bekommen. Das Parlament verabschiedete ein Gesetz, wonach der Leiter des „Slowakischen Informationsdienstes“ (SIS) von nun an nicht mehr vom Staatspräsidenten, sondern von der Regierung ernannt werden soll. Zwar legte Präsident Michál Kováč gegen die neue Regelung sein Veto ein, dieses ist nach der slowakischen Verfassung für das Parlament aber nicht bindend. Anfang April 1995 stimmten die Abgeordeten der Regierungskoalition dem Gesetz erneut zu. Die Verschiebung der Kompetenzen genügte Mečiar freilich nicht. Bei einem bühnenreifen Auftritt im slowakischen Parlament wenige Tage später warf er der Opposition vor, den Geheimdienst „mißbraucht“ zu haben. Der SIS habe ihn und seine Partei, die „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS), verfolgt und infiltriert. Der Staatspräsident habe sich vom SIS Informationen über den Aufenthalt des Parlamentspräsidenten in Großbritannien besorgen lassen. Über all dies, so Mečiar, könne er nicht länger schweigen. Jetzt seien politische und strafrechtliche Schritte nötig.
Zwar haben sich die Gegner Mečiars inzwischen an dessen gefühlsüberladene Reden gewöhnt, dieser Auftritt überraschte sie dennoch. Mehrere Abgeordnete, wie etwa der frühere slowakische Außenminister und Mečiar-Vertraute Milan Knažko, hielten dem Premier vor, unter Paranoia zu leiden. Nicht das Parlament, sondern die Psychatrie solle sich mit Mečiars Vorwürfen beschäftigen. Andere neigten zur der Auffassung, daß der Regierungschef mit seinem Auftritt das Ziel verfolgt habe, von anderen Problemen — vor allem im Bereich der Privatisierung — abzulenken.
Ausländische Beobachter reagierten dagegen eher gelassen: In den vergangenen fünf Jahren hatte man sich daran gewöhnt, daß eine Partei der anderen einen Mißbrauch der Geheimdienste vorwarf. Konkrete Belege hatte es jedoch nur in den seltensten Fällen gegeben.
Wenige Wochen später wurde dann jedoch deutlich, daß auch diese Auseinandersetzung um den Geheimdienst sich in erster Linie gegen den Staatspräsidenten richtete. Nachdem die von der HZDS kontrollierte parlamentarische Geheimdienstkommission die Beschuldigungen Mečiars wiederholt hatte, sprach das slowakische Parlament Michál Kováč das Mißtrauen aus. Der bisherige SIS-Chef trat „freiwillig“ zurück, zu seinem Nachfolger wurde der Kováč-Gegner und Mečiar-Intimus, Ivan Lexa, ernannt. Daß die Kontrollkommission in ihrem Bericht keine konkreten Beweise anführte, störte die Abgeordneten der Regierungskoalition dabei wenig. Sie wußten, daß sie den Geheimdienst unter ihrer Kontrolle hatten, wer also sollte die Anschuldigungen widerlegen.
Der Kampf um den SIS wurde so zu einem Kampf um die Zukunft der slowakischen Demokratie. Denn seit gut zwei Jahren gilt Michál Kováč als schärfster innenpolitischer Gegner Mečiars. Immer wieder hatte der Präsident seinem ehemaligen Parteifreund undemokratische Methoden vorgehalten, im März 1994 gab er mit einer Rede vor dem Parlament den Anstoß zur Abwahl des Premiers. Schon im darauf folgenden Wahlkampf ließ Mečiar keinen Zweifel daran, daß er den verhaßten Präsidenten nicht länger als ersten Mann im Staate sehen wollte.
Vorerst hat der Premier diesen Kampf freilich verloren: In der letzten Woche demonstrierten Zehntausende SlowakInnen für Michál Kováč und gegen Vladimir Mečiar. Sabine Herre
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