: Einstieg in den Chlorchemie-Ausstieg
Greenpeace-Feldzug gegen Chlorparaffine erfolgreich / Hoechst stellt Produktion bis 1998 ein / Standort Augsburg-Gersthofen betroffen / Italien und England machen aber weiter ■ Von Klaus Wittmann
Frankfurt/Augsburg (taz) – Genau eine Woche ist es her, da gab es bei Hoechst eine höchst ungewöhnliche und interessante Gesprächsrunde. Greenpeace-Chemieexperten trafen sich mit den Chemiemanagern, um über den Ausstieg aus der Chlorchemie zu diskutieren.
Fünf Tage später hat die Hoechst AG angekündigt, zumindest aus der extrem umweltbelastenden Chlorparaffin-Produktion auszusteigen. Für die Umweltschützer ist das der lange geforderte Einstieg in den Ausstieg aus der Chlorchemie. Ein Hoechst- Sprecher sagte hingegen, der Ausstiegsbeschluß sei nicht auf Druck der Umweltschützer erfolgt. „Wir sehen die Chlorparaffin-Produktion selber kritisch und wollen deshalb nicht weitermachen.“
Chlorparaffine sind chlorierte Kohlenwasserstoffe, die sich in Bodenbelägen, Kühlschmierstoffen, Autositzen und selbst Schwimmbeckenbeschichtungen wiederfinden. Die Paraffine hat die Hoechst AG im Werk Gersthofen in Augsburg hergestellt. Knapp 20.000 Tonnen der als krebsverdächtig eingestuften Stoffe werden dort jährlich produziert. Umsatz für Hoechst: 35 Millionen Mark. Weltmarktanteil: sieben Prozent.
Greenpeace brachte gestern Schlammproben aus der Nordsee mit der „Beluga“ zur Konzernzentrale nach Frankfurt-Höchst. Im Rotterdamer Hafenbecken sowie im deutschen und holländischen Watt hatten die Greenpeacler die biologisch schwer abbaubaren Chlorparaffine in alarmierenden Konzentrationen im Schlamm gefunden. Chlorparaffine können neben Krebs auch Leber- und Nierenschäden verursachen und zu Fortpflanzungsproblemen führen.
Hatte es zunächst geheißen, in Gersthofen seien bis zu 450 der 1.300 Arbeitsplätze in Gefahr, sind nach taz-Recherchen zunächst lediglich zehn Arbeitsplätze betroffen. Werksleiter Manfred Keiler sagte, mittelfristig könnten bis zu 70 Arbeitsplätze überflüssig werden. Zu Entlassungen werde es jedoch nicht kommen, da entsprechende Umstrukturierungsmaßnahmen geplant seien.
Die Zahl von 450 gefährdeten Arbeitsplätzen war nach Keilers Angaben im Zusammenhang mit dem „Chlorverbund“ gefallen. Wenn die geplanten Umstrukturierungen hier nicht greifen würden, entstünde ein Problem.
Mit dem Schritt von Hoechst ist laut Greenpeace die Chlorgefahr noch längst nicht gebannt. „Wir fordern mit Nachdruck die Einstellung der Chlorparaffin-Produktion beim englischen Chemiekonzern ICI und beim italienischen Produzenten Carfarro“, erklärte Barbara Kamrad von Greenpeace Berlin. Außerdem müsse die Bundesregierung endlich ein Anwendungsverbot erlassen. Wirtschaftsminister Rexrodt sei gefordert. „Herr Rexrodt und der Verband der Deutschen Schmiermittelindustrie sind nun die letzten Umweltgegner, die verbohrt am Einsatz dieses Chlorgiftes festhalten.“ Auf der Nordseeschutzkonferenz Anfang Juni müsse ein Chlorparaffinverbot beschlosen werden.
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