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Kein gutes Klima für Flüchtlinge

Seit sechs Monaten sind Münchner Flüchtlingsheime wegen einer Schädlingsbekämpfungsaktion mit Lindan verseucht, doch die Dekontamination läßt auf sich warten  ■ Aus München Bernd Siegler

„Das ist eine unglaubliche Schweinerei.“ Ute Götte, Sprecherin des Ökumenischen Arbeitskreises Asyl in München, ist empört. Noch immer müssen Flüchtlinge in Heimen in der bayerischen Landeshauptstadt leben, die vom Pestizid Lindan hochgradig verseucht sind. Erst in einem Wohnheim hat die Regierung von Oberbayern sich zu einer aufwendigen Dekontamination entschlossen, die nach der unsachgemäßen Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln im Herbst letzten Jahres dringend notwendig geworden war. Messungen haben ergeben, daß der Lindangehalt im Hausstaub dort um den Faktor 1.000 höher liegt als im unbelasteten Fall. Der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising hat jetzt die Regierung von Oberbayern zur „umgehenden“ Reinigung der betroffenen Unterkünfte aufgefordert. „Eine weitere gesundheitliche Gefährdung und Belastung der Betroffenen ist nicht zu verantworten.“

Im Herbst letzten Jahres beauftragte die Regierung von Oberbayern eine Münchner Firma mit der Schädlingsbekämpfung in den staatlichen Unterkünften für Asylbewerber. Dabei wurde das Insektenvernichtungsmittel „Insektinil N-HS forte“ verwendet. Es enthält Lindan, ein Gift, das sich vor allem im Fettgewebe, Gehirn, Serum und in der Leber anreichert. Leberschädigungen, Störungen des Immunsystems und Blutbildveränderungen sind die Folge. Insektinil ist zwar ein vom Bundesgesundheitsamt anerkanntes Schädlingsbekämpfungsmittel, erfordert jedoch, so Caritas-Sprecherin Monika Müller, eine „sachgerechte Anwendung“. So müßte eigentlich alles abgedeckt sein, eine bestimmte Anzahl von Tagen dürften die Räume nicht bewohnt werden.

Nichts dergleichen ist aber in den Flüchtlingsheimen geschehen. „Nicht einmal Lebensmittel wurden während des Einsatzes abgedeckt, unverzüglich nach dem Versprühen hielten sich sogar Kleinkinder und stillende Mütter wieder in den Räumen auf“, weiß Dorothee Rose vom AK Asyl aus eigener Erfahrung. Sie arbeitet bei der Betreuung im Wohnheim Hintermeierstraße mit und hatte im September 1994, als dort Insektinil verspritzt worden war, noch keine Ahnung von der Giftigkeit des Mittels. Unmittelbar nach dem Einsatz klagten mehrere Caritas- MitarbeiterInnen über Kopfschmerzen und Übelkeit. Messungen in den betroffenen Heimen haben nun Lindanwerte von bis zu 327 Mikrogramm pro Gramm Hausstaub ergeben. Im unbelasteten Hausstaub lassen sich lediglich 0,3 Mikrogramm feststellen. Auch die Raumluftmessung ergab stark erhöhte Werte. Bei zwei Caritas- Mitarbeiterinnen, die sich bislang untersuchen ließen, wies das Blutbild bereits Veränderungen auf.

Nach dem Vorliegen der ersten Meßergebnisse hat Bayerns Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Barbara Stamm, erst einmal abgewiegelt. Die hohen Werte im Staub ließen „keinen Rückschluß auf die Belastung der Bewohner“ zu. Die Regierung von Oberbayern stoppte trotzdem die Insektenvernichtung mit Insektinil und verwendet inzwischen Klebestreifen. Zuvor hatte ein Regierungssprecher jedoch die Asylbewerberheime als „weniger sensible Bereiche“ eingestuft, die sich unterschieden von Schulen, Kindergärten oder Krankenhäusern die für den Einsatz lindanhaltiger Mittel nicht in Frage kämen. Für die grüne Landtagsabgeordnete Elisabeth Köhler sind neben dem unsachgemäßen Einsatz des Mittels gerade diese unterschiedlichen Maßstäbe ein „Skandal“. Für zukünftige Maßnahmen fordert sie „endlich eine verbindliche Regelung über den verantwortbaren Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln für Innenräume.“

Die Dekontamination der verseuchten Räume, in denen noch immer Flüchtlinge wohnen, ist aufwendig. Pro Zimmer werden eineinhalb Tage veranschlagt. Seit Ostern geschieht dies nun in der Max-Pröbstl-Straße, für die anderen Heime gibt es noch keine Termine. Seit der Verwendung des Mittels sind damit sechs Monate verstrichen, seit Kenntnis der Werte fünf Monate. Die Caritas- Sprecherin Monika Müller schiebt die Schuld auf die Regierung. „Bis das den Instanzenweg geht, sind halt schnell ein paar Wochen vorbei.“ Spätestens seit Anfang Februar wäre die Regierung zum Handeln aufgefordert gewesen.

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