Shell erobert Brent Spar

Eine Versenkung der Plattform verstieße gegen internationale Abkommen / Merkel stellt sich hinter Greenpeace  ■ Von den Shetlandinseln Hans-Jürgen Marter

Die Räumung begann in den frühen Morgenstunden. Nach 24tägiger Besetzung durch Greenpeace-Aktivisten enterten gestern morgen rund 15 Shell-Arbeiter, begleitet von sechs Polizeibeamten, die umstrittene Ölplattform auf halbem Wege zwischen den Shetlandinseln und dem norwegischen Festland. Von Bord des Shell-Allzweckschiffes „Stadiva“ gelangte das Räumkommando auf die Brent Spar.

„Um 8.37 Uhr verloren wir den Telefonkontakt mit der Plattform“, berichtet Ulrich Jürgens im Lerwicker Greenpeacebüro. „Die letzten Worte von Jan am Satellitentelefon waren: ,Jetzt kommen sie rein‘, danach war die Leitung tot.“ Zu Redaktionsschluß harrten immer noch drei Greenpeacler auf der Brent Spar aus; die anderen befanden sich auf der Stadiva.

Der Ölmulti Shell hatte im Februar vom britischen Energieministerium die Genehmigung erhalten, die 14.500 Tonnen schwere und mit mindestens 130 Tonnen Öl, radioaktiven Stoffen und giftigen Chemikalien verseuchte Plattform in ein Tiefseewassergrab im Atlantik zu schleppen und dort zu versenken. Damit verstößt Shell wie auch die britische Regierung gegen mehrere internationale Abkommen und früher gegebene Versprechen:

– Die Genfer Konvention über den Festlandssockel von 1958, wonach jegliche Installation vollständig zu entfernen ist,

– das Londoner Abkommen von 1972, das den Unterzeichnerstaaten vorschreibt, alle praktizierbaren Schritte umzusetzen, die dazu führen, daß die Weltmeere nicht durch Verklappung von Abfällen verschmutzt werden,

– die OSPAR-Konvention von 1992, die Regeln zur Verhinderung von Meeresverschmutzung bei der Stillegung von Off-shore-Installationen festlegt.

Zu Beginn der Ausbeutung der Ölreserven in der Nordsee vor 30 Jahren hat die britische Regierung der Öffentlichkeit und im besonderen der Fischindustrie versichert, daß die Nordsee nach Versiegen der Ölquellen wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt werde.

All diese Konventionen hat Großbritannien anerkannt und dokumentiert. Die Brent Spar ist nur die erste von insgesamt 208 weiteren britischen Plattformen in der Nordsee, deren Stillegung in den nächsten 20 Jahren zu erwarten ist. Daß es auch anders geht, als diese mit Giftmüll kontaminierten Industrieanlagen im Meer zu versenken, zeigen nicht nur Beispiele aus den USA. Das norwegische Umweltministerium hat soeben seine Pläne für die Außerbetriebnahme der ersten norwegischen Bohrinsel bekanntgegeben: Sie wird an Land den umweltrechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend entsorgt.

Und auch Dänemark wird seine ausgedienten Ölplattformen umweltgerecht entsorgen. Der dänische Umweltminister Svend Auken hat bei seinem britischen Kollegen John Gummer gegen die jetzige Vorgehensweise protestiert, und auch die deutsche Umweltministerin Angela Merkel hatte an die britische Regierung geschrieben, um die Versenkung zu verhindern. Sie habe jedoch keine Antwort erhalten, wie sie gestern auf einem Symposium zu Problemen der Meeresumwelt in Hamburg sagte. Sie sei mit Greenpeace einer Meinung, daß die Brent-Spar- Plattform nach dem Versenken das Meer belasten werde.

Unterdessen gibt man sich im Lerwicker Greenpeacebüro keineswegs geschlagen. „Unsere Kampagne gegen die Verklappung der Brent Spar geht unvermindert weiter“, betont Mary Morrison. Zeitgleich mit der Räumung von Brent Spar hatten Greenpeace- Protestler das niederländische Hauptquartier von Shell in Den Haag blockiert. [Klasse! d. sin.] Greenpeace Deutschland startete gestern eine Informationskampagne. Mit Handzetteln und Plakaten wurden Autofahrer an Shell- Tankstellen aufgefordert, wegen des „Umweltvandalismus“ nicht mehr bei Shell zu tanken.

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