Besoffen wie jeden Tag

■ In Berlins Kneipen suchte man am Vatertag – abgesehen von ein paar Einzelgängern – vergeblich nach Anhängern der Feierlichkeit / Aber besoffen waren trotzdem alle

Christi Himmelfahrt in Kreuzberg. In der Boppstraße Ecke Kottbusser Damm, im Bierhaus Geller, sitzen fünf einsame Männer und stieren trübsinnig in den Bierschaum. Einer schnarcht, den Kopf auf der Tischplatte, während die Musikbox eine Heimatschnulze runterleiert.

Gegenüber, im „Blauen Affen“, sieht es auch nicht gerade nach Vatertag aus, zumal die Hälfte der Gäste aus ebenso vorlauten wie angetrunkenen Frauen besteht. Auch im Hobrecht-Eck in Neukölln weist nichts auf eine angemessene Begehung der Vatertagsrituale hin. Nur in „Ottos Bierhaus“ sitzen ein paar angesäuselte Oldtimer und debattieren lautstark über „Fotzen-Jimmy's“ Mofa-Exkursionen und andere Männerthemen, während die Musikbox deutsche Schlagerschnulzen runterdudelt. Die Wirtin zumindest weiß, warum nichts los ist: Das schöne Wetter habe die feiernden Väter hinaus ins Grüne getrieben.

Bereits im Begriff, die Suche nach Männern aufzugeben, die ihre oft Jahrzehnte zurückliegenden Beischlafresultate feiern, treibt mich der Durst schließlich in die „Kleine Apotheke“ auf der Sonnenallee. Micha, einer der zehn Gäste, beklagt lautstark den Untergang des Vatertags. „Vatertag ist zu einem Saufgelage verkommen!“ schimpft er und klopft mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte, als wolle er die gute alte Eichenplatte damit perforieren.

„Weißt du, wer heute Vatertag feiert?! Die Sechzehn-/Siebzehnjährigen, die sich bloß vollsaufen wollen.“ Der 37jährige Vater eines Sohnes wirkt völlig verbittert. „Die haben drei Haare in einer Reihe, eins davon pißt! Aber sich zuschütten und dann noch randalieren“, beklagt er den Untergang der abendländischen Kultur. Micha, Inhaber eines gut trainierten Schluckknorpels und eines nicht minder ausgeprägten Wanstes, stammt aus Lüchow-Dannenberg. Dort, sagt er, feiere man den Vatertag noch richtig, so mit Kremserzügen und allem Drum und Dran. „Überall, wo haltgemacht wird, gibt's dann erst mal 'nen ordentlichen Umtrunk, jawoll.“

„Wir pflegen die Ost-West-Beziehungen“, erklärt Pauli, der dickbäuchige Mittfünfziger, der mit seinem Paßmann „Don Pfurzius“ vor seiner Stammkneipe „Mütze“ in der Oranienstraße rumhängt. Ich frage die beiden, ob sie aus dem Ostteil der Stadt stammen. „Nö, das nicht“, lallt Pauli, „aber wir haben im Osten gesoffen und kotzen jetzt im Westen“, bekennt er. Zwischendurch prostet er den vorbeifahrenden Autofahrern zu und brüllt den Passanten schauerliche Obszönitäten hinterher. Wegen des Vatertags sind die Männer schon seit sieben Uhr in der Früh auf Zechtour. Und das, obwohl sie weder Väter sind noch so aussehen, als ob sie einen übergeordneten Anlaß brauchen, um sich schamlos mit Obergärigem abzufüllen.

Denn das ursprünglich als Vatertag deklarierte männerbündlerische Picheln heißt in Berlin und Umgebung ohnehin längst „Männertag“ und entbehrt jeder traditionellen oder historischen Grundlage. Die in deutschen Landen üblichen Insignien verdienstvoller Vaterschaft, bestehend aus einem Strohhut und einem Spazierstock mit Fahrradklingel und einer in der Stockmitte angebrachten Flaschenhalterung, sucht man in Berlin allerdings vergeblich. Peter Lerch