Staatsmännische Haltung

■ Designerteil deutscher Trauerarbeit: Beate Passow und Andreas von Weizsäcker mit dem Projekt "Wunden der Erinnerung" im Deutschen Historischen Museum

In Berlin ist das Deutsche Historische Museum gefordert, weil offenkundig zuständig: 50 Jahre Kriegsende. Es liegt nahe zu sagen, daß es gegenwärtig mit zwei Foto- Ausstellungen Flagge zeigt (dem Anlaß, aber nicht der Aufgabe entsprechend, die weiße). Die eine Ausstellung präsentiert berühmte Bilder berühmter Kriegsfotografen; gewissermaßen die Bild-Logos des Jahres 1945 für ein geschicktes Geschichts-Marketing.

In der anderen Ausstellung dokumentiert der Düsseldorfer Becher-Schüler Laurenz Berges fotografisch die „Wunden der Erinnerung“, die Beate Passow und Andreas von Weizsäcker mit einem an sich simplen künstlerischen Eingriff in verschiedenen europäischen Städten kenntlich machten. Sie suchten die kleinen Verletzungen des Zweiten Weltkriegs, die, eingeschrieben oder besser eingeschossen in alltägliches Material, bis heute überdauert haben. Über den wieder wahrgenommenen Einschußlöchern von Granaten und Bombensplittern brachten sie quadratische Sicherheitsglasscheiben an, auf denen die Worte „Wunden der Erinnerung“ in der jeweiligen Landessprache zu lesen sind.

Typisch Weizsäcker, verführt der ebenso prüde wie salbungsvolle Titel zu sagen. Aber okay, das ist eine unfaire Verwechslung von Vater und Sohn, von Altbundespräsident und Künstler. Doch es handelt sich immerhin um „ein europäisches Projekt“, und dahinter lugt die staatsmännische Haltung der Sorte „Verantwortung vor der Geschichte“ dann doch hervor.

Der auffälligste Punkt ihrer Arbeit entgeht interessanterweise Passows und Weizsäckers Aufmerksamkeit: daß der Kriegstourismus deutscher Soldaten von ihnen zwangsläufig wiederholt werden muß. Im Prager Stadtarchiv klebten sie – metaphorisch gesprochen – das durchsichtige Erinnerungspflaster „ZEJÍCÍ RÁNY VZPOMÍNEK“ über die Wunde der Vitrine mit den durchschossenen Büchern. In Warschau glaubten das örtliche Denkmalamt und andere angesprochene Stellen nicht, daß überhaupt noch irgendwo ein Gebäude mit Kriegsschäden überdauert haben könnte, so restlos zerstört sei die Stadt gewesen. Der Schriftsteller Andrzey Szczypiorski gab den Künstlern den Hinweis auf die Ruine der ehemaligen Nationalbank mit ihren Einschüssen. Die Stadt Diekirch in Luxemburg wurde am 18. Januar 1945 von Einheiten der 5. US-Infanteriedivision eingenommen. Hier ist es der Wald, der noch immer die Schußwunden trägt, und daher lehnt das Glasquadrat „D'WONNE VUN DER ERENNERONG“ im Sägewerk der Familie Gaasch gegen einen aufgeschnittenen Baumstamm. In Rotterdam war es der stark bombardierte Hafen, der die Künstler interessierte. Und in Berlin fanden sie gegenüber dem Bendler-Block, in dem die Widerstandskämpfer des 20. Juli 44 hingerichtet wurden, die Paray-Villa in der Sigismundstraße.

Nein, es geriet nicht nur eine anonyme Kriegsmaschinerie in Bewegung, sondern individuelle Menschen. Sie waren es, die im derben Graffiti-Gestus Datum und ihre Namen im eroberten Land hinterließen – neben den Schußspuren. Natürlich sind diese Zeichen heute nicht ohne weiteres der einen oder anderen Seite zuzuschreiben. Aber auch wenn der historisch exakte Kontext der Kriegsspuren nicht klar ist, muß ästhetische Abstraktheit nicht notwendige Antwort sein, wie das Andreas von Weizsäcker meint.

„Weniger ist mehr“, lautet eine berühmte Ästhetik-Regel, die auch eine Ästhetisierungs-Regel ist. Weniger kann da leicht zu viel des edlen Verzichts werden, zum Beispiel auf Geschichte. Da liegt das Problem der Passow/Weizsäckerschen Arbeit.

Beate Passow ist als politische Künstlerin bekannt. Mit einem „goldenen Hochsitz“ polemisierte sie einstmals gegen den Jäger Franz Josef Strauß. Im letzten Monat zeigte sie ihre Einzelausstellung „Verzweigte Zeit“ im Dortmunder Museum am Ostwall, die ebenfalls dem Erinnern in Deutschland galt. Beate Passow will nicht plakativ anprangern. Doch so kaum merklich, geradezu behutsam die Glasscheibe auch einen Ort als erinnerungswürdig markieren mag, ihn heraushebt aus seiner Umgebung, bespricht und schließlich schützt und vor Veränderung bewahrt, so seltsam kostbar wird die Stelle. Die Künstler treten völlig hinter das kleine Glas zurück, das ohne Datum, ohne Namen, wie vom Himmel gefallen an ausgesuchten Stellen prangt, sich selbst ein Denkmal.

Bei ihren ersten Tafeln in München standen noch ihre Namen deutlich sichtbar auf dem Glas. Die hätten sie beibehalten und um das Datum ergänzen sollen. In der künstlichen, der künstlerischen Wiederholung des Soldaten-Graffiti hätten sie einen kritischen Moment erwischt. So bleibt es ein schickes Designerteil deutscher Trauerarbeit. Brigitte Werneburg

Zeughaus, Unter den Linden 2, Mitte, Do.–Di. 10–18 Uhr, bis 27.6.