Einmischung in militärische Angelegenheiten

■ Vor dem Urteil gegen Chiles Ex-Geheimdienstchef Contreras mault die Armee

Santiago de Chile (taz) – Von „großer Besorgnis“ unter den Generälen ist die Rede; ein „starkes Unwohlsein“, so ein Sprecher, habe die 45 Offiziere des chilenischen Generalstabes befallen, die sich in dieser Woche gleich zweimal zu außerordentlichen Sitzungen in Santiago trafen. Der Grund: Heute wird in Santiago das definitive Urteil im Prozeß gegen den ehemaligen Chef des chilenischen Geheimdienstes „Dina“, den General a. D. Manuel Contreras, und den Feldwebel Pedro Espinoza erwartet. Beide werden der Urheberschaft an dem Attentat gegen den ehemaligen Außenminister der linken Regierung Allende, Orlando Letelier, beschuldigt.

Letelier und seine US-amerikanische Sekretärin Ronnie Moffit waren am 21. September 1976, drei Jahre nach dem Putsch der Armee unter General Pinochet, im Exil in Washington durch eine Autobombe getötet worden. Der in den USA verhaftete Bombenleger Michael Townley benannte Contreras und Espinoza als die Auftraggeber des Attentats. 1993 wurde Contreras zu sieben, Espinoza zu sechs Jahren Haft verurteilt – es war das erste Mal, daß in Chile führende Persönlichkeiten des Putsches belangt wurden. Beide legten Berufung ein und bewahrten sich durch Kautionszahlungen davor, die Haft antreten zu müssen.

Contreras selbst hat sich in Interviews, die er von seinem Landsitz im Süden Chiles aus gibt, wiederholt unschuldig erklärt. „Die Verantwortlichen für das Attentat befinden sich in den Vereinigten Staaten“, ließ er vermelden, aber die USA seien „nicht interessiert daran, sie zu finden, denn sie wissen, daß sie auf die CIA stoßen würden“. Vor allem auf Druck der USA aber war das Verfahren gegen Contreras überhaupt aufgenommen worden, nachdem die Militärs 1990 abgedankt hatten.

Mehrmals schon wurde in diesen Tagen die Urteilsverkündung verschoben – nicht einmal die beteiligten RechtsanwältInnen wußten am Mittwoch zu sagen, ob der für den heutigen Freitag anvisierte Termin bestehen bleibt. Da bereits bekannt ist, daß die fünf Richter der vierten Kammer des Obersten Gerichtshofes sich einstimmig auf einen Urteilsspruch geeinigt haben, wird allgemein mit einer Bestätigung des Urteils der ersten Instanz gerechnet. Die Unsicherheiten über den Termin allerdings verstärken die Befürchtungen, das Säbelrasseln der Armee könnte die Richter doch noch beeindrucken. Fabiola Letelier, die Schwester des Ermordeten und als Rechtsanwältin am Prozeß gegen Contreras und Espinoza beteiligt, sieht eine „Situation großen Drucks auf die Justiz“. Sie hofft dennoch, „daß wir zum ersten Mal in der Frage der Menschenrechtsverletzungen ein Urteil auf der Grundlage des Rechtes erreichen“.

Zumindest hat es die Armeeführung geschafft, daß dem Contreras-Prozeß der Charakter einer Anklage gegen die Pinochet-Diktatur insgesamt genommen wird. Selbst die Betroffenen versichern, daß hier kein Präzedenzfall zur Aufarbeitung der chilenischen Vergangenheit geschaffen werden soll. „Hier geht es weder um den General Pinochet noch um die Armee“, sagt etwa Juan Pablo Letelier, der Sohn des ermordeten Ex- Außenministers und heutige Abgeordnete der Sozialistischen Partei versöhnlich: „Ich bin überzeugt, daß sie (Contreras und Espinoza) niemals im Auftrag des Generalstabs oder der Heeresführung gehandelt, sondern vielmehr sogar die Gesetze ihrer eigenen Institution verletzt haben“, sagte Letelier der Zeitung El Mercurio.

Eine Verurteilung Contreras' und Espinozas unter diesen Vorzeichen bedeutet keine grundlegende Wende. Daß innerhalb der Armee dennoch starke Kräfte ernstlich Druck selbst auf Armeechef Pinochet ausüben, weil einer der Ihren, ein General zumal, verurteilt werden soll und sich damit die zivilen Institutionen die Einmischung in militärische Angelegenheiten anmaßen, bekräftigt nur einmal mehr das ungebrochene Selbstbewußtsein des chilenischen Militärs.

Ebenfalls ohne Selbstzweifel gab sich in dieser Woche der ehemalige Dina-Agent Osvaldo Romo in einem Interview mit dem spanischsprachigen US-Fernsehsender Univision: „Ich hätte keinen am Leben gelassen. Das war ein Fehler der Dina. Immer habe ich meinem General [Contreras, d. Red.] gesagt, daß er niemanden am Leben lassen sollte, daß er niemanden freilassen soll. Sehen Sie, jetzt haben wir die Konsequenzen.“ Romo war im Gefängnis interviewt worden. Er gilt als einer der brutalsten Folterer der Diktatur. 1992 war er von Brasilien an Chile ausgeliefert worden, das Verfahren gegen ihn ist noch nicht abgeschlossen. Jetzt überlegt Innenminister Carlos Figueroa, Romo auch wegen seiner jüngsten Äußerungen zu belangen. „Sich der Grausamkeit und des Verbrechens zu rühmen, scheint mir nicht nur widerlich, sondern auch strafbar“, sagte Figueroa. Und Romos Rechtsanwalt Jorge Erpel trat von der Verteidigung seines Mandanten zurück – es sei mit seinen moralischen und religiösen Überzeugungen nicht mehr zu vereinbaren. Bernd Pickert