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CannesCannesSarajevo, mon amour

■ Emir Kusturica macht Witze, Theo Angelopoulos Ernst

Ach, Europa! Während die UNO gerade in Bosnien zu kleinen Luftangriffen ausholt, saß die Festivalcrowd drei Stunden lang tapfer durch das, was der sich selbst stets als „Exil-Jugoslawe“ bezeichnende Emir Kusturica unter „Underground“ versteht. Was ist zu sagen? Es war laut, laut und vor allem ziemlich laut; eine Explosion jagte die nächste, dabei sollte das Ganze aber eine Art Marx-Brothers- Touch haben. So fallen die ersten Bomben des Zweiten Weltkriegs auf einen Zoo, eine Löwe fällt um, ha ha, während eine dicke Frau noch von ihrem ruhig weiterfrühstückenden Freier eine Blume in den nicht unerheblichen Popo geschoben bekommt. Sie müssen zugeben, daß das ziemlich komisch ist, und so geht es dann auch weiter. Zwei Männer mit tapferen Schnauzbärten überleben alles, auch daß sie sich ständig selbst ins Knie schießen, Schimpansen schlabbern sie liebevoll ab, wenn sie mal zu bös gefallen sind, und daß die blonden Frauen sowohl lügen als auch Russinnen sind, wird ja wohl niemand ernstlich bestreiten wollen. Diese Art von blutig-jahrmarktshaftem Chaos, durch das sich einige Schlitzohren mehr oder weniger geschickt durchschlagen, hat sich fast schon zu einem Merkmal des osteuropäischen Films entwickelt.

Ein rumänischer Wettbewerbsbeitrag war ähnlich gebaut: Ein Post-Ceauçescu-Senator läßt seine Untertanen einen Hügel nach Schnecken absuchen, woraufhin diese sich aus ohne für das westliche Auge ersichtlichem Grund vergewaltigen, schlagen und schließlich verbrennen (es sind natürlich Zigeuner, die da brennen). Ein französisches Filmteam profitiert ähnlich von der verzweifelten Lage wie bei Kusturica die Deutschen, die damals wie heute (Ex-)Jugoslawiens Geschicke bestimmen, auch wenn Leutnant Franz schon ein paarmal erschossen worden ist. Irgendwie haben sie immer gewonnen. Mit dem Haß auf die Deutschen wird aber leider, so hat man den Eindruck, alles republikanische Denken gleich mit über Bord geworfen, und so hat man das ungute Gefühl, daß die armen Schlitzohren von heute die Schirinowskis von morgen sein könnten ...

Ähnlich groß angelegt, aber ungleich schwergewichtiger war Theo Angelopoulos' „Le regard d'Ulysse“, ein dreistündiges Epos, das Harvey Keitel heulend wie ein Hund und stets mit jahrtausendelanger europäischer Geschichte beladen über diesen unseren Kontinent jagt, auf der Suche nach drei Filmrollen griechischer Filmpioniere. Wim Wenders würde es mögen, daß die Sache schließlich ebenfalls in Sarajevo endet, mit der nicht besonders dezent gemachten Implikation, daß der Krieg wegen oder um die Zerstörung dieser Filmrollen geführt worden ist. Kann nicht irgend jemand mal ein Gesetz gegen den Mißbrauch von Sarajevo als Bedeutungsakkumulator für müdes Kunstwollen erlassen?

Daß ich schlicht vergessen habe, Gena Rowlands Besuch hier zu erwähnen, obwohl sie meine Herzdame ist, muß daran liegen, daß sie einfach zwischen die parfümierten Seiten dieses überpittoresken Bilderbuchs von Terence Davies gerutscht ist. In seinem Film „The Neon Bible“, der komplett im Edward-Hopper-Design gehalten ist, spielt sie eine entfernte Schwester von Blanche aus „Endstation Sehnsucht“, ein gefallenes Südstaatenmädchen, das vom Hausherren gar nicht, dafür aber von seinem Sohn um so mehr geliebt wird. Als der Hausherr in den Krieg zieht, haben sie es eine Zeitlang ganz nett zu dritt: Rowlands als Aunt Mae darf ein paarmal singen und mit einer wunderbaren Dicken aus der Neighborhood tanzen, aber das Glück währt nicht lang, da kommt ein Wanderprediger und holt alle heim ins Reich. Davies ließ sich in der Pressekonferenz dann auch erzürnt und ausgiebig über die katholische Kirche aus, meinen Segen hat er, aber sein Film? Die Bilder werden immer schöner, der Mond scheint schon nur noch für das Schlafzimmerfenster gemacht, und langsam, aber sicher erstickt alles Leben wie in manchen Geschichten von Carson McCullers.

Gena Rowlands hat da nichts verloren. mn

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