■ Ein Phantom in Haft
: Nach Grönland!

Peter-Paul Zahl sprach mit dem jamaikanischen Detektiv Aubrey „Ruffneck“ Fraser (40), der im Auftrag der Deutschen Bank den Immobilienunternehmer Jürgen Schneider jagt.

Peter-Paul Zahl: Herr Fraser ...

Aubrey Fraser: Sie können mich ruhig Ruffneck nennen.

Also gut. Ist es richtig, Mr. Ruffneck, daß Sie im Gegensatz zum BKA die Suche nach dem verschwundenen Immobilienunternehmer Schneider fortsetzen?

Hm.

Aber er ist doch aufgetaucht ...

Ist er das?

Aber ja. Doch. Gewiß. Millionen von Menschen haben ihn am 19. Mai und in den Tagen darauf im Fernsehen gesehen, ohne Toupet, in Handschellen.

Wen?

Na, Schneider. Jürgen Schn...

Woher wissen Sie, daß er das war?

Sie meinen, er war es nicht?

Ja.

Sind Sie sicher?

Ja.

Aber das FBI hat ihm Fingerabdrücke abgenommen ...

Wem?

Schneider.

Sind Sie sicher?

Ich? Nein, BKA und FBI.

Sie glauben denen?

Im allgemeinen ja nicht. Aber das Bild in der „Tagesschau“ ...

Haben Sie die Bilder vom Irak- Feldzug der USA im Fernsehen bewundern dürfen?

Der UNO ...!

Sind Sie sicher?

Hm. Ja. Also gut, der USA. Ja, ich habe sie gesehen. Wie fast alle Menschen, die über einen Fernsehapparat verfügen ...

Sind Sie sicher, daß Sie über den Fernseher verfügen und der nicht über Sie verfügt?

Ja. Im Gegensatz zu den meisten Menschen.

Sie haben die Bilder für wahr gehalten. Oder?

Ja.

Später sind Sie dann eines Besseren belehrt worden.

Ja. Alle Bilder waren wirklich, die wenigsten wahr.

Letztere waren Manöverbilder, die eingeblendet wurden, oder Computersimulationen ...

Ja. Aber was hat das mit Schneider zu tun?

Ich rede nicht von Schneider.

Aber ich. Mit mir über Schneider zu reden, dafür haben Sie Ihr Informationshonorar erhalten.

Viel zuwenig. Aber über Schneider haben wir doch noch gar nicht geredet.

Über wen denn?

Sie reden über Bilder im Fernsehen.

Dann reden Sie doch mal über Schneider, verfl...

Welchen, den echten oder den im Fernsehen?

Den ..., ach, darauf wollen Sie hinaus. Der im Fernsehen war also nicht Schneider?

Das sag' ich doch die ganze Zeit.

Können Sie das beweisen?

Ich muß gar nichts beweisen. FBI und BKA müssen beweisen. Das aber wird ihnen schwerfallen.

Wieso?

Die Deutsche Bank geht ja auch von der Annahme aus, daß Schneider noch flüchtig ist. Sonst hätte ich ja nicht auf meine Anfrage, ob ich ihn noch immer suchen soll, eine positive Antwort erhalten.

Von wem?

Von Georg Krupp, dem Vorstand der Deutschen Bank und Hauptzuständigen im Fall Schneider. Aber ich glaube, es ging ihm darum, daß ich den nicht geringen Vorschuß, den ich erhalten habe, einfach abarbeite.

Wie gelangen Sie zu dieser Annahme?

Der Mann war seltsam gleichgültig am Telefon. Im Grunde kann es ihm ja egal sein, ob der Mann in der „Tagesschau“ ...

Der in Handschellen und ohne Toupet?

Ja, der so seltsam gealterte Mann. Also, ob der ein Manöverbild, eine Computersimulation, Jürgen Schneider oder John Brown ist.

John wer?

Jedermann.

Entschuldigen Sie, daß ich nachfasse: Was macht Sie so sicher, daß der Schneider im Fernsehen nicht der wahre Schneider ist?

Er ist der beliebige, also der wahre. Aber nicht der wirkliche ...

Wer ist der wirkliche?

Der wirkliche ist im April 1934 geboren und hat Maurer gelernt.

Und?

Glauben Sie im Ernst, daß ein Mann, der als Maurer angefangen hat und Ostern 1994 über sechs Milliarden Deutschmarks Schulden hinterläßt und laut der Nachrichtenagentur Reuter am 19. Mai um 14.07 Uhr 232 Millionen auf einem Schweizer Konto, um 11.53 Uhr dagegen 240 Millionen ...

Ist das wahr?

Ja. In zwei Stunden und vierzehn Minuten haben sich acht Millionen Deutschmarks mal wieder in Luft aufgelöst. Merken Sie was?

Ich merke und ahne.

Na also. Und einmal waren es neun Milliarden Schulden und dann fünf ... Denken Sie dran: Der Mann war Maurer.

Und?

Dieser „Schumpetersche Unternehmertyp“ pumpt sich laut Reuter, 19. Mai, 9.20 Uhr, „ein paar Millionen“, kauft den „Fürstenhof“ in Frankfurt, läßt ihn – teuer – renovieren und scheppert diese Hütte für 450 Millionen – 1992 –, und so ein Mann – gelernter Maurer! – läßt sich da vor einer – Ironie der Geschichte, ausgerechnet – Bank in Miami in geblümten Bermudashorts und ohne Toupet mal eben so verhaften?

Ein Regiefehler.

Wessen?

Schneiders.

Nicht der BKA-Fahnder und des FBI?

Lassen wir das. Fahren Sie fort.

In der Konjunktur steigt der „Schumpetersche Unternehmertyp“ auf und „stürzt nach einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen jäh ab“. Der Experte, der diesen Typ beschreibt, ein Schweizer, glaub' ich, sagt „Typ“. Nicht „Schneider“. Die Schneiders sind also Legion.

Aber nicht der mit den neun Milliarden Schulden und...

Der nicht. Den finde ich.

Der ist noch auf der Flucht.

Der? Ja. Aber Sie haben nicht nach dem Thema des Buches gefragt, aus dem ich eben zitierte.

Richtig. Ich hol's nach. Schneider?

Falsch.

Dagobert?

Falsch. Sie haben noch eine Antwort offen.

Ich geb' auf.

Deutsche Bank.

Die wollen Sie also zum bösen Buben stempeln? Ist doch abgeschmackt.

Ich bin Private Eye. Ich stempele meine Klienten nicht zu bösen Buben oder Mädels. Meine Klientin war bislang die einzige Großbank, die jene darbenden Handwerksmeister, die im Schweiße ihres Angesichts goldene Armaturen über die Badewannen in Schneiders Luxusimmobilien schraubten, voll ausgezahlt hat. 70 Millionen Deutschmarks. Peanuts. Ich zitiere den Experten: „Das Tief der Immobilienpreise sitzen Deutsche, Dresdner, Commerzbank und ihre Kollegen aus“ und verscheuern Schneiders Edelprojekte mit Gewinn.

Und Schneider?

Welcher?

Sagen wir: der, den wir im Fernsehen ...

Wird wegen groben Unfugs eine Geldstrafe erhalten – die von der Deutschen Bank beglichen wird.

Und der andere?

Wo haben wir uns getroffen?

Was? Wer? Wir? In der Wintersportabteilung des KaDeWe.

Ich muß mich warm anziehen. Ich suche Schneider in Grönland. Die Grönländer sind gastfreundliche Menschen. Keine Rentner. Keine Deutschen. Keine Leute, die unaufgefordert der Polizei Hinweise geben.

Aber warum Grönland?

Alle Nachrichtenagenturen zitierten diesen BKA-Beamten Schmid: „Wir hatten weit über 100 Spuren zu bearbeiten, auch in Ländern, zu denen Deutschland keinen intensiven Kontakt pflegt ...“

Schneider auf seiner Jacht vor den arabischen Emiraten ...

Schneider auf den Philippinen ...

Schneider in Monaco ...

Schneider in einer Schweizer Klinik ...

Schneider in Paraguay ...

(beide): Schneider in Florida!

Unter vierzigtausend deutschen Rentnern! Gegen einen deutschen Rentner ist ein IM der Stasi ein Gewissenstäter!

Aber warum wurde er dann nicht früher erkannt und verpfiffen?

Weil die auf der Jacht, in Monaco, der Schweiz, Paraguay, die vielen in Florida alle echt waren. Geklonte Schneiders. Einer sah aus wie der andere. Alle wirkten so echt, daß Hinweise auf sie in hundert Ländern gegeben wurden. Nur in Grönland nicht. Und dort werde ich ihn auftreiben. Es sei ...

Was?

Der Mann hat bestimmt weitere 232 Millionen gebunkert. Nicht in der Schweiz! Die dienten nur zum Verwischen der Spuren. Der echte Schneider wird nun wohl eine gelbe Haut haben, hundertzwanzig Pfund wiegen, volle, glatte, schwarze Haare, Schlitzaugen ...

Schlitzaugen?

Wie ein Eskimo auf Grönland. Nicht zu unterscheiden von anderen. Scheiße!

Also keine Chance, ihn zu erwischen?

(lacht zum ersten Mal) Doch. Ich verfolge deren Medien. Und wenn ich zum ersten Mal von der Luxusrenovierung eines Iglus lese, hab' ich ihn!

Peter-Paul Zahl, 51, erhielt am 20. Mai 1995 für den ersten Band seiner Jamaika-Serie den „Glauser“, den Deutschen Krimipreis 1994.