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Sammelpunkt: Landgut

■ Rechtsextreme „Aussteiger“ mehren sich, sie hoffen auf Strafmilderung

Nürnberg (taz) – Gesucht: Gut ein Dutzend junge deutsche Familien, die in Schweden auf einem 650 Hektar großen Gut siedeln wollen. Auch ein Altenheim soll es geben. Ziel: „Ein Leben, unbeeinflußt durch Umerziehung, Überfremdung und Drogen.“ Jürgen Rieger, Hamburger Nazi-Rechtsanwalt von der verbotenen NF, verkündet seine Umsiedlung. Via Annonce im Ideologie-Organ Nation + Europa hofft er die geeigneten Partner zu finden. Aus Empörung über die „undemokratischen Maßnahmen“ des Staates gegen „aufrechte Deutsche“ will Rieger nicht nur die Bundesrepublik verlassen, sondern auch die Politik. „Ich setze mich doch nicht im Ausland hin und versuche das deutsche Volk zu retten.“

„Aussteigen“ ist derzeit modern in der Neonazi-Szene. Beim Stuttgarter Bewegungsprozeß um die Fortführung der 1983 verbotenen Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten gab es jede Menge „Aussteiger“. Ob Jürgen Mosler, Christian Malcoci, Michael Swierczek, Andreas Rossiar, alle erhielten Bewährungsstrafen, weil sie vor Gericht kundgetan hatten, sie wären ausgestiegen. Zuletzt machte der Bonner FAP-Kader Norbert Weidner mit seinem Rückzug ins „bürgerliche Leben“ Schlagzeilen. Vorher hatte er jedoch noch schnell den Reißwolf mit internen FAP-Unterlagen gefüttert. Im Juli steht er wegen Körperverletzung vor Gericht.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung in Stuttgart gegen Swierczek, Rossiar und Malcoci im März dieses Jahres hätte jedenfalls keiner der Angeklagten reinen Gewissens von sich behaupten können, er wäre ausgestiegen. Christian Malcoci (31) gibt seit Sommer 1994 die rechtsextreme Zeitschrift Thule heraus. Darin greift er mitunter selbst zur Feder. So in der Ausgabe Frühjahr 1995 zum Thema „Der abendländische Kulturkampf gegen Materialismus und Überfremdung“. In der gleichen Nummer preist der angeblich ausgestiegene Jürgen Mosler seine Dienste als Schriftsetzer an. Michael Swierczek (33), Chef der 1992 verbotenen Nationalen Offensive (NO), hat eigens zu seinem Prozeßbeginn in den HNG-Nachrichten der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ mobilisiert: „Wir sehen uns am 7. Februar in Stuttgart.“

Schon am ersten Verhandlungstag präsentierte er sich dem Richter als „Aussteiger“. Andreas Rossiar, Kopf der im Juli 1993 verbotenen Heimattreuen Vereinigung Deutschlands (HVD), hält nach wie vor Referate im NPD-nahen Stuttgarter „Freundeskreis – Ein Herz für Deutschland“. Zuletzt fuhr der 28jährige nach Spanien – zu einem internationalen Treffen von Neonazis anläßlich des Todestages von Diktator Franco. Bernd Siegler

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