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Autonome rechte Zellen formieren sich

Nach den Verhaftungen ihrer Führer strukturiert die rechte Szene sich neu / Verfassungsschutz und BKA besorgt über terroristische Ansätze / Anstieg von fremdenfeindlichen Taten  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Wir haben inzwischen eine Reihe von Anhaltspunkten, daß die Diskussion eines bewaffneten Kampfes oder Terrorismus von rechts durchaus gegeben ist.“ Der Präsident des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (VS), Ernst Uhrlau, ist besorgt über die Strategiedebatten innerhalb der rechtsextremen Szene nach dem Verbot von insgesamt elf neonazistischen Organisationen, Razzien und Demonstrationsverboten. Aus der Auswertung zahlreicher Postillen und Mailbox-Nachrichten weiß er, daß die „euphorische Aufbruchstimmung“ Anfang der 90er Jahre innerhalb der Neonazi- Szene verflogen ist. „Jetzt ist eine Erörterung über organisierte Militanz mit einer gezielten Opferauswahl festzustellen.“

Die Opfer gibt beispielsweise Steffen Hupka aus Quedlinburg in der letzten Ausgabe seines Strategieblattes Umbruch vor. Der ehemalige Führungskader der im November 1992 verbotenen Nationalistischen Front listet darin „Politiker, Journalisten, Intellektuelle und Funktionäre verschiedener Organisationen“ auf, die sich „in penetranter Weise antinational und pro-multikulturell betätigt“ hätten. In seinen „Gedanken zur Strategie“ gibt der 31jährige Jungnazi klare Anweisungen für die Zukunft: „Nicht irgendwelche unbekannten Ausländer sollten also das Ziel von phantasievollen Aktionen sein, sondern diejenigen, die in Wort und Tat verantwortlich sind für die derzeitige Lage.“

Mit seiner Forderung nach dem „Aufbau einer überregionalen Kaderstruktur“ und einer „gruppenübergreifenden Vernetzung“ steht Hupka innerhalb der Szene nicht allein da. Allenthalben wird nach den Verboten für eine Neuformierung geworben. „Die rechte Szene ist nicht gebrochen, sie entwickelt Organisationsformen, die schwer greifbar sind“, stellt der rheinland- pfälzische VS-Chef Armin Dostmann fest.

Sein Kollege Uhrlau spricht von „autonom operierenden Zellen“ und gibt zu, daß es „mit der zunehmenden Abschottung und der Orientierung an langjährig Verläßlichem für die Verfassungsschutz- Behörden immer schwieriger“ werde. Die von dem ehemaligen Funktionär der verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands (FAP), Norbert Weidner, aufgestellte Behauptung, die ganze Szene sei von V-Männern durchsetzt, hält Uhrlau schlichtweg für „überzeichnet“.

Angesichts der neuen Kommunikationsstrukturen, der Strategiedebatte und dem Aufbau von autonomen Zellen hält der Hamburger VS-Chef eine Entwarnung für nicht angebracht. „Die Kalkulierbarkeit im Handeln dieser Szene läßt nach“, lautet sein Urteil. Außerdem sprechen die Zahlen der Monat für Monat registrierten fremdenfeindlich motivierten Straftaten auch eine deutliche Sprache. Im Februar waren es 130, im März 187.

Gerd Fricke, Leitender Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt in Meckenheim, warnt vor der Tendenz, die Gefährlichkeit der Szene nach der Schwere von Anschlägen zu beurteilen. Das immer militanter werdende, zum Teil schon terroristische Konzepte verbreitende Propagandamaterial der Rechten sollte „nicht auf die leichte Schulter genommen“ werden. Was in den Köpfen ist, wird leicht und schnell zur „Propaganda der Tat“. Er meint damit nicht nur Hupkas Pamphlete, sondern auch die vierbändige Druckschrift „Eine Bewegung in Waffen“, die die NSDAP/AO vertreibt.

Während sich die Szene umstrukturiert, bieten sich NPD und vor allem die Jungen Nationaldemokraten als „ungefährdetste“ Auffangorganisation an. Auch ein Teil der alten Strukturen lebt weiter. Aus der verbotenen Deutschen Alternative wurden die Deutschen Nationalisten. Die NF um ihren Chef Meinolf Schönborn ist weiter aktiv, als wäre nichts geschehen. Nach wie vor finden in dem Anwesen in Detmold-Pivitsheide Treffen und Schulungen statt. Weiterhin werden Bürger aus dem Zentrum heraus angegriffen. Nach der mißglückten Umsiedelung nach Dänemark betreibt Schönborn seinen Versandhandel wieder über seine alte Telefonnummer. In seinen Berichten zur Lage hält er seine Gesinnungsfreunde auf dem laufenden und sucht darin „gefolgstreue Kameraden, die sich mit Computern und Funkgeräten auskennen“.

Noch im April 1994 hatte das Bundesinnenministerium auf eine entsprechende Anfrage behauptet, die NF sei „weitgehend zerschlagen“. Die in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für den Bereich Rechtsextremismus zuständige Abgeordnete Annelie Buntenbach aus Bielefeld hält dies nach Auswertung umfangreichen Materials für einen schlechten Witz. Sie nennt die Verbotspolitik der Bundesregierung „zahnlos und inkonsequent“. Die Verbote hätten, so wie sie durchgeführt worden sind, lediglich dazu beigetragen, „der massiven Kritik am Umgang der Bundesregierung mit rassistischen Gewalttaten der letzten Jahre den Wind aus den Segeln zu nehmen“. Ihr Fazit: „Nicht die Organisationsstrukturen der Neonazis, sondern die öffentliche Diskussion darüber ist beseitigt worden.“

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