„Es ging nur um's Essen“

■ 50 Jahre danach: Die Bremer Swing-Generation hält eine erstaunlich unbeschwerte Rückschau: „Unsere Knochen sind doch heile geblieben.“

Swing und Gefühl? „Es ging ums Essen. Nur ums Essen.“ Der 71jährige Gitarrist Martin von Bloh sieht den ersten Nachkriegstrend in Sachen Musik nüchtern. Noch 50 Jahre später erinnert er sich genau: Gitarrenkofferweise schafften die Musiker, die für die Amerikaner aufspielten, Lebensmittel aus den Militärclubs – und Zigaretten und Schnaps, die Währung, für die es Brot und Butter und Zucker beim Laden um die Ecke gab. „Ich hatte doch Frau und Kind“, sagt der musikalische Autodidakt von Bloh, der seine erste Gitarre beim Rußlandfeldzug in die Hände bekam und später, als das vorbei war, bei den Amis als Musiker antrat.

An Aufbruch oder Befreiung kann sich Martin von Bloh trotz Kriegsende und trotz Musik nicht so recht erinnern. Höchstens an Erleichterung, im Vergleich zur Vergangenheit. „Wir waren alle froh, den Krieg mit heilen Knochen überstanden zu haben“, sagt er. „Aber wir wußten doch nicht, ob es jemals besser würde. Der Morgenthau-Plan bot uns doch keine Perspektive“.

Für dieses Lebensgefühl mit Dämpfer gab es am vergangenen Samstag jedoch kein öffentliches Publikum: „Swing unter Trümmern“, die Veranstaltung aus der Reihe „50 Jahre danach“, war auf den ersten Blick zu einer Veranstaltung der Ärmelaufkrempler-Zupacker-Aufbauer geraten. Die Anekdoten und Überlebenstricks der gealterten Swing-Generation von damals beherrschten die Erinnerung. Die Flasche Schnaps beispielsweise, die der Schlagzeuger hinter den Instrumenten heimlich zusammenschüttete – aus den Gläschen, die die Musiker ihm reichten, wenn jemand eine Runde spendiert hatte. Im Bürgerhaus Weserterrassen, dem Tatort ihrer frühen Jahre, gedachten rund 40 Grauhaarige der Zeit vor 50 Jahren auf ihre Art.

Gekommen waren die Überlebenden mit den heilen Knochen, die beim Nachkriegstanz im legendären Varieté Astoria oder im Atlantik ihre Bräute gefunden hatten, oder den Mann. Der Ex-Marschmusiker aus der Militärkapelle, der sein Brot nach '45 mit deutschem Schlager verdiente. Und der heutige Jurist, der 1943 von der Oberschule weg zur Luftwaffe beordert wurde und sein Leben in Freiheit erst nach dem Krieg wirklich beginnen konnte.

Dieser Jurist allerdings gehört an diesem Samstagabend im Bürgerhaus zu der kleinen Minderheit, für die die Swing-Time nicht erst nach dem Krieg begann. Wegen „defaitistischer Äußerungen“ war er bereits als junger Luftwaffenhelfer zum Putzer für einen Offizier degradiert und strafversetzt worden. Heute kann er darüber schmunzeln: „Der hatte eine prächtiges Radio, da habe ich viel Feindsender gehört. Ich war dem Swing verfallen.“ Doch wenn er erzählt, abseits der unbeschwerten Klänge vom Knobelsdorffs-Quartett und der Nachwuchsband Swinging-Pool, wird er nachdenklich – auch über diesen Samstagabend. Denn für ihn gehört das Gefühl für diese Musik mit dem politischen Empfinden eng zusammen.

Manierlich und fröhlich sitzt die übrige bunte Mischung derweil im Bürgerhaus-Saal, im ehemaligen amerikanischen „Red Cross River Club“. Zu soften Swingrythmen und zu Eckfried von Knobelsdorffs Trompetenstößen wippen wieder ihre Köpfe und kreisen wieder die Knie wie damals: Musiker, TanzpartnerInnen, ZeitzeugInnen wollen das „Fest für alle“ feiern, das per Ankündigung versprochen war. Sie tun es mit den Jüngeren, die ebenfalls gekommensind. Gemeinsam lacht man über den selbstgebauten Baß aus Brett und Drähten: „Hauptsache war doch, daß der Rhythmus stimmte“; und man lacht über die Musikerbrüder Fliege: „Die waren begabt, die hörten immer viel Radio.“ Denn Noten gab es kaum.

Alte Adressen werden ausgetauscht: vom Club in der Wulwestraße, von der Offiziersmesse an der Contrescarpe, vom Shangrila in der Knochenhauer, und immer wieder fallen die Namen Astoria und Atlantik. Natürlich ist auch vom Bremer Hans Last die Rede, dem späteren berühmten James, und von Ursula Kersteins Vater, einem E-Musiker, dem es schwerfiel, im Club zu swingen. Aber so waren die Zeiten: Alternativen waren rar.

Die Vorhut des Nachkriegsjazz kennt sich noch heute, sie blieb ihrer Musik treu und schwärmt gemeinsam von der Neustädter Kneipe Bullenkamp, dem Treffpunkt langer Jahre. Aber mittlerweile ist die Swing-Generation selbst ein Phänomen der Geschichte geworden. Ein eigenartiges. Denn das Tanzbein ist zwar erlahmt, aber der Wille zur Fröhlichkeit ist lebendig wie am ersten Tag.

Folglich gedachte man am Samstag vor allem des Wiederaufbaus, der ersten großen Liebe und der heilen Knochen – der eigenen vor allem. Denn von den kaputten der anderen spricht man auch nach 50 Jahren nicht gerne öffentlich.

Eva Rhode