Vaterunser und Tränen

■ Junkies und BetreuerInnen gedachten gestern der vier Brandopfer vom Wall / Drogenhilfeträger fordern: Mehr Junkies in unsere Unterkünfte

Es war ein kleiner Trauerzug, der sich gestern vom Sielwall das Steintor hinunter bis zum Ziegenmarkt bewegte. Rund zwei Dutzend Drogenabhängige vom Gifteck und ein paar MitarbeiterInnen der Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße, ein Kranz: „Zur Erinnerung an die Brandopfer am Wall“. Ein Gedenken an die vier Junkies, die in der Nacht zum 20. Mai in einer Unterkunft für Drogenabhängige Am Wall ums Leben gekommen waren. Am Ziegenmarkt, wo bis vor einem Jahr noch der Gedenkstein für die „Opfer der Bremer Drogenpolitik“ gestanden hat, bis er nächtens umgekippt worden ist, legte die Trauergemeinde den Kranz nieder. Keine Ansprachen, aber Tränen einiger, die die verbrannten Menschen gekannt hatten, bis nach einigen Minuten eine Abhängige andere bei den Händen faßte und ein Vaterunser betete. Nach 20 Minuten verlief sich die Gruppe so unspektakulär, wie sie gekommen war.

Der Verein „akzept – für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik“ hatte zu der Aktion geladen – und mit der Einladung gleich reichlich Vorwürfe und Forderungen erhoben. Das Haus Am Wall sei, wie viele Unterkünfte, die den Abhängigen zugewiesen würden, ein kommerzieller Beherbergungsbetrieb gewesen: „keine ausreichende Brandschutztechnik, kein ansprechbares Personal, keine zielgruppengerechte Unterbringungsform.“ Genau das böten die freien Drogenhilfeträger, doch deren Betten würden durch die vermittelnden Stellen nicht belegt, weil sie wegen der höheren Standards teurer seien als die privaten „Billighotels und Läusepensionen“. Fazit: Die gemeinnützigen Projekte müßten bei der Belegung viel stärker berücksichtigt werden.

Besonders erwähnt wird in dieser Empfehlung die „Jola“, die schwimmende Notübernachtung hinter der Stephanibrücke. Die müßte viel stärker belegt werden – ausgerechnet. Ausgerechnet deshalb, weil es gerade die Jola war, die wegen einer Kombination aus immenser Kostenexplosion und schlechter Standards schon im vergangenen Jahr in die Diskussion gekommen war. Zum Jahreswechsel 1993/94 waren die Übernachtungskosten pro Bett von 60 auf 123,50 Mark gestiegen, weil ein Bonner Förderprogramm ausgelaufen war und die Stadt einspringen mußte. Damals hatte das Sozialressort versprochen, das Schiff, das von der „Drogenhilfe e.V.“ betrieben wird, schnell aus dem Unterbringungsangebot zu streichen.

Das ist bis heute nicht geschehen, die Stadt zahlt weiter. Der Grund: Die Alternative für die Jola sollte das „La Campagne“ in der Schwachhauser Heerstraße sein. Doch erst liefen die NachbarInnen gegen das Projekt Sturm, dann die Baupolizei. Die verlangte nämlich reichlich Umbauten – wegen der Feuersicherheit. „Und die Feuerschutztüren waren so schnell nicht lieferbar“, sagte gestern Wolfgang Beyer, Sprecher des Sozialressorts. Im Sommer soll die Unterkunft eröffnet werden, dann werde auch die Jola hinfällig.

Allerdings stimmt der Ressortsprecher der Kritik der freien Träger zu: Es gebe tatsächlich Leerstand in den betreuten Unterkünften. „Wir bemühen uns da aber um eine bessere Steuerung.“ Wenn Drogenabhängige einen Schlafplatz suchten, dann sei auch oft nicht sofort ersichtlich, ob dort unbedingt eine Betreuung dabeisein müsse. „Klar ist aber, daß wir weniger Leute in Billighotels unterbringen wollen.“

Das scheint auch nötig zu sein: „Wo ich wohne, da gibt es auf jeder Etage einen Gasherd. Und da wohnen Leute, die schlafen auch mal ein“, sagte ein Junkie gestern bei der Trauerfeier. J.G.