piwik no script img

Die Reputation der vermeintlichen Wilden Von Andrea Böhm

Es war aus Sicht der Indianer bekanntermaßen kein guter Tag, als die ersten Siedler an der amerikanischen Ostküste an Land gingen. Und es sollte sich rückblickend als schwerer Fehler erweisen, den unbedarften Weißen über die ersten Winter zu helfen und ihnen beizubringen, wie man Mais und Kürbis anpflanzt. Als Dank für die Gastfreundschaft landeten die Ureinwohner als hilflose Mündel in Reservaten – sofern sie die „Entdeckung der Neuen Welt“ durch die Weißen überhaupt überlebten – und als heulende Wilde in John- Wayne-Filmen.

Nun neigt die westliche sogenannte Zivilisationsgesellschaft dazu, in Zeiten der Sinnkrise jene Kulturen zu umarmen, die man in frühreren Jahren fast ganz ausradiert hätte. Mit dem Umweltschutz kamen Mutter Erde und die Medizinmänner in Mode; Sitting Bull wurde zur Postkartenlegende, die Schwitzhütte zum beliebten Ort der Körper- und Seelenpflege, die Prophezeiung der Hopi-Indianer zur beliebten Lektüre für sinnentleerte Weiße. Die Reputation der vermeintlichen Wilden ist seitdem gewaltig gestiegen. Bloß von ihrem Land haben die Indianer bislang keinen Quadratmeter zurückerhalten. Das soll sich nun ändern – ausgerechnet in downtown Detroit. Dort hat eine Zweidrittelmehrheit der Bürger in einer Volksabstimmung beschlossen, den Chippewa-Indianern im Herzen der Innenstadt, zwischen Schnellstraßen, Hochbahn und Fast-food-Restaurants, eine Reservation einzurichten.

Nicht daß die Innenstadt von Detroit besonders anziehend wäre. In diesem Fall wäre auch keiner auf die Idee gekommen, sie den Chippewa zurückzugeben, die einst dort lebten. Nein, downtown Detroit ist tagsüber unverdünnte Tristesse: nach Einbruch der Dunkelheit ein urbaner Friedhof. Vom Glanz der einstigen Metropole der Autoindustrie ist nichts übriggeblieben. 15 Prozent der Bewohner sind arbeitslos, ein Drittel lebt unterhalb der Armutsgrenze. Und wie damals den ersten Siedlern sollen den Detroitern jetzt wieder die Indianer aus dem Schlamassel helfen. Die Chippewa sollen ein riesiges Spielcasino bauen – und damit die Innenstadt wieder zum Leben erwecken.

Spielcasinos sind – im Gegensatz zu Mais – keine originär indianische Erfindung. Doch im Verlaufe ihres Überlebenskampfes sind zahlreiche indianische Nationen dazu übergegangen, die Spielregeln der weißen Profit- und Entertainmentgesellschaft zu lernen und zu ihren Gunsten auszunutzen. In den meisten Einzelstaaten ist der Betrieb von Spielhöllen verboten, auf Bundesland – und dazu gehören Indianerreservationen – ist er erlaubt. Also haben die Nachkommen von Sitting Bull, Cochise und Tecumseh Bingohallen und Casinos errichtet, was nicht nur die Spielsucht der Indianer, sondern auch der Weißen befriedigt. Sie strömen zu Tausenden in die Reservationen und lassen Tausende von Dollars da. Von dieser Geschäftstüchtigkeit möchten nun die Detroiter profitieren. 4.400 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden, jährlich 25 Millionen Dollar in das leere Stadtsäckel fließen.

Den Chippewa soll es recht sein, solange ihre Profitkurven nach oben weisen. Daß sie einst Märkte erschließen und damit gewissermaßen Land zurückerobern würden, hätten sie sich vor hundert Jahren auch nicht träumen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen