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■ Marius Müller-Westernhagen ist wieder auf Stadiontour„Du gehst da in eine andere Zone rein“

Marius Müller-Westernhagens aktuelles Album „Affentheater“ ließ ihn dort wiedereinsteigen, wo er aufgehört hatte: Die Platte blockierte monatelang höchste Chart- Regionen, die nun anlaufende Stadiontournee durch die deutschen Großstädte ist seit Monaten ausverkauft – alles wie immer. Immer noch rollingstoned er sich durch seine postpubertären Texte, immer noch findet er es vollkommen gut, „honey“- und „money“-Verse zu vertonen und ab und zu „huhuuu“ zu jauchzen.

taz: Vor drei Jahren fülltest neben Genesis vor allem du die größten bundesdeutschen Open-air- Schauplätze, in diesem Jahr bist erneut du es neben den Rolling Stones. Kein anderer deutscher Musiker zieht derartige Massen an.

Marius Müller-Westernhagen: Das mit den Stadien war einfach die Konsequenz einer logischen Entwicklung. Da bin ich auch gegen so eine deutsche Feigheit. Wir Deutschen sagen ja immer, nein, um Gottes willen, entschuldigen Sie bitte, daß ich Deutscher bin, und das war alles nur ein Versehen. Ich bin einfach den Schritt weitergegangen. Wenn man ein paar Jahre lang immer wieder dieselben großen Hallen gefüllt hat und irgendwann weiß, daß man auch Stadien füllen kann, dann bin ich doch der Meinung, daß das nicht nur den Ausländern vorbehalten sein sollte. Man kommt nur mit Risiko weiter, und nur so macht es mir auch Spaß. Wenn man sich immer nur wiederholt, wird es schnell langweilig.

Wenn du über das Produzieren einer Platte sprichst, dann ist der zentrale Begriff immer Arbeit. Da aber nun, wie gesagt, dein Stil doch relativ simpel ist, fragt man sich natürlich, warum es dann nach dem 200. Song immer noch so kräfteraubend für dich ist, dein gewohntes Muster noch mal neu auszulegen.

Du arbeitest an so 'nem Album über ein Jahr! Und du arbeitest wie ein Bescheuerter dran, denkst an jeden Ton, mixt wie ein Bekloppter, was die Leute nachher wahrscheinlich gar nicht hören, und machst dich vollkommen verrückt und gehst durch irrsinnig paranoide Phasen und denkst, alles Scheiße, und dann ist wieder alles Klasse, und dann kommst du zum Überspielen, dann hörst du hier noch was, dann gehst du wieder zurück – das ist wie eine Geburt [gab's bei deiner Geburt vielleicht mehr zurück als vor?, d. s-in]. Deshalb ist es auch manchmal so respektlos, wenn Leute sich nicht damit auseinandersetzen. Du kommst und hast dein Kind auf dem Arm, und einer sagt, dein Kind ist aber häßlich. Wie schwer isser denn? Schielt er? Ist auch nicht hübscher als das letzte, ne? Das tut weh! Deshalb verstehe ich nicht, wenn Leute ihr Kind aus der Hand geben und andere Leute andere Beine dranschrauben lassen. Was ich damit sagen will? Es steckt soviel Arbeit in einer Platte, Herzblut auch, und dann tut es demjenigen, der sie gemacht hat, weh, wenn jemand sie irgendwie schnodderig abkanzelt.

Auf „Affentheater“ finden sich musikalisch ziemlich deutliche Rückgriffe auf dein Frühwerk. Es klingt ein wenig auf dreckig gemacht, schrammelig, grölig. Thematisch haust du auch in diese Schmuddelecke, da werden Frauen genötigt, da ist das Geld knapp, es gibt Probleme mit 'ner Hure...

Du denkst natürlich, daß ich das alles kalkuliert habe, daß ich mich vorher hinsetze und einen Themenkatalog mache und sage, ein Stück über Dings, ein bißchen Sex... Ich bin keine Werbeagentur, ich bin Künstler...

Deine Tournee ist weitestgehend ausverkauft; bei der letzten Tour spalteten sich die Zuschauerreaktionen in kritiklose Euphorie einerseits und in enttäuschte Fans andererseits, die meinten, soeben sei ihnen nichts weiter als ein Aufguß deiner Live-Platte serviert worden inklusive Ansagen.

Du kannst es keinem recht machen.

Worauf ich hinaus wollte, ist, daß bei einer Tournee in dem Umfang sich gewisse Automatismen nicht nur einschleichen, sondern benötigt werden, um an jedem Abend professionell die hohen Erwartungen zu erfüllen. Da ergibt sich natürlich das Problem, daß du jedem Publikum sagst, daß es das größte und beste ist. Fans, die bei mehreren Konzerten zugegen sind, fühlen sich dann verschaukelt, bangen um die Einzigartigkeit des Erlebten. Und wenn man sich mit dir normal unterhält, wird deutlich, daß du auf der Bühne eine ganz bestimmte Figur skizzierst, auf die die Leute gnadenlos abfahren, die aber nur entfernt etwas mit dem Menschen Westernhagen zu tun hat.

Ich bin auf der Bühne sicherlich ganz anders also sonst, aber da gibt es noch wesentlich extremere Beispiele von viel größeren Leuten: Pete Townshend zum Beispiel hat gesagt, auf der Bühne wäre er ein vollkommen Wahnsinniger. Du gehst da in eine andere Zone rein, das ist wie Twilight. Du trägst natürlich diese ganzen Vibrationen dieser Leute geschlossen mit. Die projizieren alles auf dich drauf, und das spürst du sehr, sehr stark. Das heißt, du mußt dich einerseits voll reinbegeben, du mußt aber auf der anderen Seite alles unter Kontrolle behalten. Und das macht es im Endeffekt auch so wahnsinnig anstrengend.

Was überwiegt bei der Schaffung dieser Illusion: der Musiker Westernhagen oder der Schauspieler?

Natürlich ist das alles auch Theater, Inszenierung. Aber nicht in dem Sinne, daß da oben gelogen wird. Du spielst natürlich mit dem Publikum. Und wenn du das nicht kannst, dann ist es ja auch uninteressant. Die Leute wollen ja jemanden da oben haben, der Kraft hat.

Die fressen dir doch aus der Hand, gehorchen dir blind. Wenn du sagen würdest: Macht doch mal 'ne Kniebeuge, bin ich mir sicher, daß sofort 60.000, ohne nachzudenken, in die Knie gingen.

Das wäre mal 'ne Idee (lacht). Daß das Volk sich ein bißchen körperlich betätigt. Macht euch mal locker jetzt, jeder 'ne Kniebeuge vielleicht oder zwei!

Dirigent einer Masse zu sein ist also kein Problem für dich?

Solange ich es im Griff habe, nicht. Es wird ja immer gesagt, man hat so wahnsinnig viel Macht. Das beschränkt sich ja auf diese zwei oder drei Stunden Konzert. Ganz gefährlich finde ich es, wenn die Motive dessen, der da oben steht, schlechte sind. Der Idealfall eines Konzertes ist für mich, daß so eine Art Solidarität entsteht. Ich habe ja die verschiedensten sozialen Schichten und Altersgruppen im Publikum, und auf einmal verstehen die sich alle, sind auf einem Level. Das ist ein schönes Gefühl. Ich möchte sie einfach gut unterhalten, sie gehen nach Hause mit einem positiven Gefühl. Das ist alles, was ich will, nicht mehr.

In Zeiten, in denen die Jugend keinen Grund mehr sieht, politische Idole anzubeten, folgt sie heute lieber einem Popstar?

Das glaube ich nicht. Man kann lediglich durch Emotionen unterstützen, aber mehr als Begleitmusik ist das nicht. Dann gehen die Leute wählen, um die Rechten zu verhindern, was natürlich gut ist, aber wen kann man denn aus Überzeugung wählen? Wen wählst du denn? Vielleicht die Grünen? Die Idee ist wunderbar, aber möchtest du wirklich, daß die regieren? Daß wir wieder Gaslaternen kriegen, und abends um zehn geht überall das Licht aus, möchtest du das?

Das ist jetzt wohl etwas verkürzt dargestellt.

Aber es ist doch so. Du hast keine wirklichen Alternativen.

Und deshalb wollte ich eben darauf hinaus, daß Popstars politisch mehr Einfluß vor allem auf die Jugend nehmen können.

Mir ist das ein bißchen peinlich, diese Selbstzweckgeschichte. Du gibst ein Konzert vor 60.000 Leuten und gehst raus und sagst: „Und übrigens ...“ und haust da irgendeinen politischen Spruch rein. Das finde ich peinlich. Auf der Bühne finde ich das geschmacklos.

Apropos Jugend: Hören deine Kinder deine Musik, oder rappen die durchs Wohnzimmer?

Mein Sohn hört tatsächlich hauptsächlich Rap, auch so Hardcore-Sachen, wo ich immer denke, Mann, ausgerechnet deine Texte finden die Leute schmutzig...

Belächelt er dich also als Musiker?

Neeneenee, der kritisiert. Die neue Platte findet er richtig gut, das ist „cool“. „Cool“ ist so, wenn meine Generation unter der Decke wäre und wir uns den Kopf blutig gestoßen hätten. Das ist heute „cool“. Und wenn es nur gut wäre, dann wäre es „o.k.“. Aber die neue Platte, die ist „cool“.

Das Interview führte

Benjamin v. Stuckrad-Barre

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