: Nato-Luftangriffe - und was dann?
■ Eine verunsicherte US-Regierung versucht den Eindruck zu erwecken, als wolle sie Bodentruppen nach Bosnien schicken
Ein Desaster zum Erfolg zu deklarieren, gehört im Bosnien-Konflikt mittlerweile zur Routineübung westlicher Politiker. Für die Clinton-Administration übernahm diese Aufgabe in den vergangenen Tagen vor allem US- Verteidigungsminister William Perry. Die Luftangriffe der Nato auf Munitionsdepots der bosnischen Serben seien „kein Fehler“ gewesen, erklärte der Minister am Dienstag abend im US-Fernsehen. Vielmehr gelte es, die „Solidarität zwischen Nato und UNO“ hervorzuheben. „Die Bombenangriffe waren der erste Schritt“ in dieser Demonstration des neu gefundenen Schulterschlusses.
Das Problem? Keiner, auch nicht Perry, weiß, wie der zweite Schritt aussehen könnte, nachdem die bosnischen Serben als Reaktion auf die Bombenangriffe fast 400 Blauhelme als Geiseln genommen und die UNO faktisch zum Kriegsgegner erklärt haben. Und während US-Regierungsbeamte hinter den Kulissen die UNO scharf kritisierten, weil sie ihre Beobachter und Truppen nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätten, tat Perry, als ob die Geiselnahme einkalkuliertes Risiko gewesen sei.
Für die Clinton-Administration, die den Krieg in Bosnien angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes überhaupt nicht auf der Tagesordnung haben wollte, hat sich nun das Kalkül einer durch Nato-Luftangriffe gestärkten UNO-Präsenz als Bumerang erwiesen. Hartnäckig hatten die USA gegenüber den westlichen Verbündeten auf Luftangriffe gegen serbische Stellungen gedrängt – in der Annahme, eine solche Strafaktion für die fortgesetzte Bombardierung Sarajevos würde nicht nur der bosnischen Zivilbevölkerung, sondern auch den UNO-Truppen Luft verschaffen – und die Diskussionen über einen Abzug der Blauhelme vorerst zum Verstummen bringen. Genau für diesen Fall nämlich hatte US-Präsident Bill Clinton einst die Entsendung von bis zu 25.000 US-Soldaten zugesagt – ein Versprechen, das innenpolitisch derzeit kaum durchsetzbar erscheint.
Doch nun ist eine Dynamik in Gang geraten, die man in Washington um jeden Preis vermeiden wollte. Um nicht jede Glaubwürdigkeit bei den westlichen Alliierten zu verlieren, demonstriert die Clinton-Administration nun zumindest verhaltene Bereitschaft, Bodentruppen nach Bosnien zu entsenden. 2.000 US-Marines sind inzwischen in die Adria entsandt worden, womit sich die US-Truppenpräsenz in der Region auf 12.000 erhöht hat. Die wilden Spekulationen in der Presse über deren Art des Einsatzes, vor allem über mögliche Kommandos zur Geiselbefreiung, dürften dabei ganz gelegen kommen – nicht zuletzt, um die bosnischen Serben nervös zu machen.
Die Option solcher Befreiungskommandos macht zuallererst jedoch den US-Kongreß und die amerikanische Öffentlichkeit nervös. Diese zu beruhigen, bemühten sich am Dienstag sowohl der US- Verteidigungsminister als auch Clintons Sicherheitsberater Anthony Lake. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme“, erklärte Lake. „Keine Befreiungsaktionen“ seien geplant, erklärte Perry. Die Erinnerungen an das Debakel der Carter- Regierung nach der gescheiterten Befreiungsmission amerikanischer Geiseln im Iran 1980 spielen da keine geringe Rolle. Allerdings sei denkbar, so Perry, daß US-Truppen unter Nato-Kommando an der Evakuierung besonders gefährdeter UNO-Truppen in Bosnien teilnehmen. Eine solche „Regruppierung“ der Blauhelme sowie ihre Verstärkung durch weitere Soldaten sind das vorläufige Ergebnis der Beratungen der Nato-Außenminister in den Niederlanden.
Die Entsendung von US-Truppen zur Stärkung der Blauhelme schloß Perry explizit aus. Man werde jedoch mit militärischer Ausrüstung helfen. Damit scheint vorerst und notdürftig gekittet, was sich zu einem tiefen Riß in der Nato ausweiten könnte – oder nach Ansicht der New York Times gar zum Beginn des sicherheitspolitischen „Ausstiegs der USA aus Europa“.
Implizit muß allerdings auch US-Verteidigungsminister Perry einräumen, daß Nato und UNO ihren Handlungsspielraum noch weiter eingeschränkt haben. Denn mit der Geiselnahme von Blauhelmen haben die bosnischen Serben die militärische Option von Luftangriffen auf unabsehbare Zeit beseitigt. Zwar bestehen die USA in ihren öffentlichen Stellungnahmen darauf, daß weitere Luftangriffe „nicht ausgeschlossen“ sind. Doch Perry gab zu, daß solche Aktionen bis auf weiteres „taktisch nicht sinnvoll“ seien. Was bleibt, sind diplomatische Vorstöße, deren Aussicht auf Erfolg fraglicher denn je sind.
Die Clinton-Administration wird erneut ihren Sonderbeauftragten Robert Frasure nach Belgrad schicken, um den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević zu einer Anerkennung Bosniens zu bewegen. Doch niemand weiß, ob dies die bosnischen Serben zu einer Änderung ihrer Poilitik veranlassen könnte. Andrea Böhm
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