Das Eurogeld kommt langsam

Spekulanten müssen abgewehrt werden und die Bürger müssen überzeugt werden/ Kanzler Kohl hält sich Rückweg zur Mark offen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Bei Jacques Santer weiß man nie so genau, ob er wirklich überzeugt ist oder ob er im Wald pfeift. Der Präsident der Europäischen Kommission gab sich gestern in Brüssel demonstrativ zuversichtlich, daß die Umstellung der nationalen Währungen auf eine europäische Einheitswährung noch in diesem Jahrhundert beginnen werde.

Die Zuversicht ist nötig. Im „Grünbuch über die praktischen Fragen des Übergangs zu einer einheitlichen Währung“ wird die ablehnende Stimmung in der Bevölkerung als Hauptproblem identifiziert. Mit dem Grünbuch, das gestern in Brüssel vorgelegt wurde und das den wahrscheinlichen Zeitplan vorzeichnet, will die Europäische Kommission deshalb eine Kampagne eröffnen, um die Europäer vom Nutzen einer gemeinsamen Währung zu überzeugen. Finanzkommissar Yves Thillbaut de Silguy forderte die EU-Regierungen auf, in Schulen und in der Öffentlichkeit für das Eurogeld zu werben. Ein notwendiges Unterfangen: 72 Prozent der Deutschen, 76 Prozent der Österreicher und 70 Prozent der Dänen wollen ihr eigenes Geld nicht in eine neue Währung umtauschen.

Viel psychologische Überzeugungsarbeit ist notwendig. Deshalb will die EU-Kommission ihre bisher größte Aufklärungskampagne starten. Sie soll an den Schulen beginnen und sich auf alle Ebenen ausdehnen. Die Ängste sollen überwunden und die Vorteile herausgestellt werden. Zu den Vorteilen gehört nach dem vorgelegten „Grünbuch“ eine erhebliche Kosteneinsparung durch Wegfall der Umrechnungsgebühren. Die Transaktionskosten werden auf jährlich 20 bis 25 Milliarden ECU (bis zu 50 Mrd DM) geschätzt. Gern wird das Beispiel von dem Reisenden zitiert, der mit 1 000 DM durch die 15 Länder der Union fährt und in jedem Land neu umtauscht. Am Ende verbleiben ihm nur noch 500 DM, obwohl er noch keinen Pfennig ausgegeben hat.

Brüssel verspricht sich auch eine größere internationale Währungsstabilität und Wachstum für Konjunktur und Beschäftigung. Die Geschäftswelt könne in einem vereinfachten Binnenmarkt besser kalkulieren.

Wenn die Regierungen bis Ende 1997 die Währungsunion tatsächlich beschließen sollten, dann wird es nach den Vorstellungen der Kommission noch vier Jahre dauern, bis Euromünzen und — Scheine in Umlauf gebracht werden. In dieser Zeit sollen sich die Europäer emotional von ihren nationalen Währungen trennen und an die neuen, in ECU berechneten

Preise gewöhnen können. Ob das Euro- Geld dann auch ECU heißen wird oder einen völlig neuen Namen bekommt, ist auch noch völlig offen.

Darüber könnten die Politiker noch reden, auch wenn man vorläufig von ECU spricht, versicherte Santer. Die Bundesregierung hat in letzter Zeit immer wieder klargemacht, daß der Name ECU bei den Deutschen nicht ankomme. Kanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel plädieren für den Namen Franken. Dieser würde mehr Vertrauen und Sicherheit einflößen.

Im ersten Jahr der Übergangsphase werden dann zu einem bestimmten Stichtag erst einmal die Wechselkurse eingefroren. Die nationalen Währungen bleiben in Umlauf, haben aber ein festes Wechselkursverhältnis, das nicht mehr verändert werden kann. Ab diesem Zeitpunkt soll dann der bargeldlose Zahlungsverkehr, also Anleihen, Kredite, Aktien und Schecks schrittweise auf ECU umgestellt werden. Für einen Zeitraum von drei Jahren werden wir mit zwei Währungen nebeneinander hantieren müssen.

Wenn es nach den Vorstellungen der Kommission geht, soll die Umstellung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs auf ECU so schnell wie möglich gehen. Denn das große Problem sind dabei die Währungsspekulanten. Niemand kann sie daran hindern, irgendwo auf den Bahamas beispielsweise riesige Mengen an Mark aufzukaufen und zu horten. Die Bundesbank müßte dann entweder Geld nachdrucken oder in Kauf nehmen, daß die Mark aufgrund der großen Nachfrage zu Schwarzmarktkursen gehandelt wird. Geldmarkt experten schätzen, daß sich solche Spekulationswellen für ein paar Wochen durchhalten lassen, auf keinen Fall aber drei Jahre. Die Kommission möchte deshalb die Notenbanken zwingen, sofort nach dem Stichtag nur noch ECU-Anleihen auszugeben. Wenn die Bundesbank ausschließlich ECU heraus

gibt, dann müssen sich auch ihre unmittelbaren Kunden, die Banken, ziemlich schnell umstellen. Versicherungen, Investmentgesellschaften und das ganze Kreditwesen müßten nachziehen. Ziel der Aktion ist es, in kurzer Zeit die sogenannte „kritische Masse“ von 80 Prozent zu erreichen. Das heißt, daß 80 Prozent aller Zahlungsvorgänge in ECU abgewickelt werden. Wenn nur noch Bargeldgeschäfte und kleinere Transaktionen in Mark berechnet werden, dann verliert die Spekulation an Bedeutung. Je schneller der ECU die europäische Führungsrolle der Mark übernimmt, desto geringer sind die Chancen, daß die Spekulanten ihr Ziel erreichen: eine nachträgliche Korrektur der fixierten Wechselkurse, was die Notenbanken teuer zu stehen käme.

Doch die Sache hat einen Haken. Die Bundesregierung und mit ihr die Bundesbank wollen die ECU-Anleihen nicht so schnell. Fachleute vermuten, daß Bonn und Frankfurt sich ein Hintertürchen offenhalten wollen, um im Fall ungünstiger Erfahrungen mit der Stabilität des Eurogeldes einen Rückweg zu haben. So unumkehrbar, wie der Kanzler immer betont, soll die Währungsunion anscheinend doch nicht sein. Nur laut sagen darf das niemand, weil die Eurowährung sonst nie das nötige Vertrauen bekommt.

Das Grünbuch, betonte gestern Kommissionspräsident Santer, sei keine Bibel, sondern ein Diskussionspapier, an dem noch viel verändert werden kann. Kommission und Bundesregierung werden sich in den kommenden Monaten daher noch heftige Gefechte liefern. Die Entscheidung über das wann und wie der Währungsunion, vor allem welche Länder überhaupt die nötigen Kriterien erfüllen, liegt letztendlich bei den Staats- und Regierungschefs der 15 Mitgliedsländer. Neben Deutschland kämen zur Zeit nur Luxemburg und — mit Abstrichen Irland und Dänemark in Frage. Aber es gilt als sicher, daß bis 1998 auch Frankreich und vermutlich die Benelux-Länder die Bedingungen weitestgehend erfüllen.

Brüssel ist auch klar, daß das Vertrauen in die Sicherheit und Stabilität der neuen Währung sehr wichtig ist. Deshalb bestand Kommissionspräsident Jacques Santer am Mittwoch noch einmal auf der rigorosen Einhaltung der Stabilitätskriterien als Voraussetzung für die Beteiligung an der Währungsunion. Es dürfe keine Verwässerung geben.

Bei dem Namen für das Eurogeld gibt sich Brüssel flexibel. Darüber könnten die Politiker noch reden, auch wenn man vorläufig von ECU spricht, versicherte Santer.

Foto: Toni Suter