Mit der Expo stirbt der urbane Traum

Tokios Bürgermeister Yukio Aoshima sagt Weltausstellung 1996 ab / Gegen urbanen Gigantismus  ■ Aus Tokio Georg Blume

Wer Yukio Aoshimas persönlichen Stil kannte und zugesehen hatte, wie der ehemalige Schauspieler und Drehbuchautor mit einer 1.200 Mark teuren Antiwahlkampagne im April die Tokioter Bürgermeisterwahlen souverän gewonnen hatte, der durfte sich gestern über die Entscheidung des japanischen Ausnahmepolitikers nicht wundern: „Nach gründlichen Überlegungen habe ich mich entschlossen, die Weltausstellung 1996 in Tokio nicht stattfinden zu lassen“, verkündete der Bürgermeister mit dem selbstbewußten Grinsen eines Außenseiters, der sich gerade gegen das gesamte Establishment des Landes auflehnte. Tatsächlich verabschiedete sich Aoshima damit nicht nur von dem 3,3-Milliarden-Mark-Projekt der Ausstellung, sondern diskreditierte das mit Gesamtkosten in Höhe von 130 Milliarden Mark teuerste urbane Entwicklungsprojekt der Welt.

Wie ein Schaufenster für alle, die Tokio als die Megametropolis des 21. Jahrhunderts kennenlernen wollten, war die Tokioter Weltausstellung seit 1988 geplant worden. Unter dem Motto „Vision einer Zukunftsstadt“ sollte freilich nur das gezeigt werden, was ohnehin gebaut wurde: eine gigantische Neubaustadt auf einer künstlich geschaffenen Insel mitten in der Bucht von Tokio.

Das Projekt mit Namen „Tokyo Teleport Town“ brach nicht nur bei den Kosten alle Rekorde: Mit einem Schub sollte auf der neuen Insel ein zweites Manhattan für 60.000 Einwohner und 110.000 Arbeiter und Angestellte entstehen. Norman Foster, der berühmte englische Architekt, entwickelte im Auftrag des Bauriesen Obayashi hierfür seine Vision vom höchsten Haus der Welt: den 1.000 Meter hohen Millenum-Turm. Doch kaum etwas von den großen Plänen wurde bis heute verwirklicht.

Statt dessen führt heute eine stolze neue Hängebrücke auf eine Niemandsinsel, in deren Himmel nur einige Baukräne ragen. Im Laufe der Jahre zogen sich 50 Prozent der Firmen, die die Toioter Weltausstellung anfangs unterstützten, von dem Projekt zurück. Der Grund dafür war nicht weit entfernt vom Hafen an der Tokioter Börse zu finden: Dort waren nämlich Anfang der 90er Jahre die Aktienpreise zusammengebrochen, was schließlich auch der Immobilienspekulation den Boden entzog, und die Grundstückspreise in den Keller schickte.

Vor allem Büromieten in teuren Lagen fielen in den letzten Jahren in Tokio um mehr als 50 Prozent — mit ihnen aber hatten die Investoren der „Tokyo Teleport Town“ fest kalkuliert. So hätte die Weltausstellung 1996 – nach bereits zwei Jahren Aufschub – tatsächlich auf einer wenig attraktiven Baustelle stattfinden müssen.

Diesmal war damit sogar die sonst allmächtige Bürokratie Japans samt der ihr folgenden Unternehmerschar machtlos. Bürokratie und Unternehmer hatten die Ausstellung bis zuletzt mit aller Macht durchsetzen wollen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. Doch selbst Jiro Ushio, Vorsitzender des mächtigen Unterverbands Keizaidoyukai, mußte am Ende eingestehen: „Der Gouverneur von Tokio besitzt in Japan als einziger eine Macht, die mit der des Präsidenten von Amerika vergleichbar ist. Er wurde direkt vom Volk gewählt, und deshalb geht seine Entscheidung vor.“