Nur Heringe und Bier?

■ Paul Scheerbarts „Weltgeist“ blubbert bald in Bremen : Wiederbelebung eines Dichter

Auf der großen Freitreppe stand einer – der besann sich plötzlich auf sich selbst.

Er betrachtete sich und sah, daß Alles an ihm krebsrot war.

„Bin ich denn ein gekochter Krebs?“

Also kam's dem Besonnenen über die schmunzelnden Lippen.

„Gut!“ fuhr er aber fort, „dann sollen Alle zu gekochten Krebsen werden!“

Und er ging hinaus in sein hohes Haus und wollte alle seine Freunde verwandeln.

Es gelang ihm aber nicht.

„Krebsrot – ein Herren-Scherzo“ nennt Paul Scheerbart seine Prosa-Miniatur. Paul Scheerbart? Nie gehört. Werden die meisten sagen. Hellhörig werden selbst Literaturkenner erst dann, wenn vom Umfeld des Danziger Prototyp-Dadaisten die Rede ist: Paul Scheerbart (1863-1915) zählte etwa Richard Dehmel, Erich Mühsam, Alfred Kubin, Ernst Rowohlt und Liliencron zu seinen Freunden.

Ein visionärer Phantast war er, Romanautor, Gelegenheitsdichter (der Gelegenheiten waren wg. Broterwerbs viele), Dramatiker, Erfinder. Seine fixe idee: die Entwicklung eines Perpetuum mobile. Unzählige Skizzen und detaillierte technische Zeichnungen fertigte Scheerbart an. Wohlmeinende Hinweise auf die physikalische Unmöglichkeit einer solchen Konstruktion, wischte er mühelos vom Tisch: Dann muß ich die Maschine eben anders bauen!

Im tiefsten Innern, auf schon ziemlich unbewußter Ebene, mag er geahnt haben, daß diese seine Erfindung so bald nicht fertig sein würde: „Es liegt etwas Armseliges in denen, die alles wirklich haben wollen.“ Gleichwohl hatte er schon viel vor mit der Zaubermaschine. Etwa den Harz abzutragen und überhaupt die Gebirge anders anzuordnen. Schließlich liefen ja dann Tausende Bagger ständig für lau...

Nur von Heringen und Bier soll er gelebt haben, aber das ist Legende. Ebensowenig geklärt ist sein Verhältnis zu Frauen. Seine Haushälterin hat er geheiratet und sie liebevoll „mein Bär“ genannt, aber ob sie wirklich Tisch und Bett teilten, ist ungewiß. Scheerbart war wohl lieber bei seinen Planeten und auf der Suche nach dem Weltgeist, den er – alkoholisiert – gerne beschwor.

„Weltgeist, wo bist Du?“ heißt denn auch die Veranstaltungsreihe zum 80. Todestag des Dichters, „Überall in der Stadt blubbert er auf“, umreißt Horst Mühlberger, zusammen mit Rudolf Wenzel Organisator der Reihe, das Scheerbart-Projekt.

„Ein Tuttifrutti sollte es werden, genau so, wie es zur Persönlichkeit Scheerbarts paßt, der sich auch zu vielem geäußert hat, hier auf- und dort wieder abgetaucht ist. „Die Wurzeln der Wohlhabenheit“ (Ein schildbürgerliches Schauspiel. Ort: Utopia, Zeit: unbekannt) oder „Die Puppe und die Dauerwurst“ heißen zwei der fünf Dramolette – zwischen fünf und 20 Minuten lang –, die in der Kulturwerkstatt zu sehen sind (9.-11., 16.-18.6., 20.30 Uhr). Im Kontorhaus liest Marcel Wagner aus „Perpetuum mobile“ und anderen Scheerbart-Texten (3.6., 20.30 Uhr), und am 15.6. stellt Dr. Karl Knupp die architektonischen Phantasien des – im besten Wortsinne – Dilettanten Scheerbart vor. (Angestelltenkammer, 20 Uhr).

Die Scheerbart-Kennerin par excellence, Mechthild Rausch, versucht am 8.6. die Legenden, die sich um den „verliebten Anti-Erotiker“ ranken, zu entwirren. „Von Danzig ins Weltall – das Werden eines literarischen Phantasten“ ist ihr Vortrag betitelt (Stadtwaage, 20 Uhr). Ins Weltall flüchtete Paul Scheerbart gerne. Der Existenz außerirdischen Lebens war er stets auf der Spur. Gerade hatte man den Neptun entdeckt. Grüne Männchen waren nicht auszumachen. Das kümmerte Scheerbart nicht, die Möglichkeit allein reichte ihm aus: Er sah sich die fotografischen Platten mit den Neptun-Aufnahmen mit der Lupe an. Seine vagabundierende Phantasie machte daraus pointillistische Federzeichnungen: amöbenhafte, tentakelbewehrte Extraterrestrische, die gleichwohl nichts Feindseliges an sich hatten. Leider nur Farbkopien davon sind bis zum 15.6. in der Kulturwerkstatt Westend ausgestellt.

Alexander Musik