Auf dem Mars spazieren gehen

■ Amateur-AstronomInnen tagten in Bremen / Von der „Astro-Krawatte“ bis zur simulierten Weltraumreise auf dem Computer

„Sie möchten wissen, wie der Große Wagen in 150.000 Jahren aussieht? Kein Problem!“ Mit wenigen Mausbewegungen bedient Ralf Tietze seinen Computer und schon flimmert das Universum im Zeitraffer über den Bildschirm. Von der charakteristischen Form des Sternbildes bleibt jedoch in ferner Zukunft nicht mehr viel übrig, und auch der Polarstern funkelt nicht mehr dort, wo er es eigentlich tun sollte. „Macht aber nichts“, erklärt der Diplom-Physiker lächelnd, „dann werden sich die Seefahrer der Zukunft einfach an einem anderen Stern orientieren.“

Ralf Tietze ist eine der gefragtesten Informationsquellen beim 5. Norddeutschen Amateurastronomen-Treffen, zu der die Bremer Olbers-Gesellschaft am Pfingst-Wochenende „Sternfreunde“ in die hiesige Uni rief. Astronomie bedeutet soviel wie Stern- oder Himmelskunde, und so ist es leicht verständlich, warum es AstronomInnen wahre Schmerzen bereiten kann, wenn man sie mit der Astrologie, der Sternendeutung, verwechselt.

„Astro-T-Shirts“, mit Planeten bedruckte Krawatten, Teleskope samt Zubehör, Satellitenfotos von Bremen, Kerzen in Mond- oder Sternenform oder ein Computerprogramm mit dem vielversprechenden Titel „Amazing Universe“: LiebhaberInnen der Astronomie finden hier alles mehr oder weniger Nützliche, was das kosmische Herz begehrt. Doch die Kerzen und Krawatten im Sterne-Design schneiden schlecht ab – das Interesse der Hobby-WeltraumforscherInnen gilt professionellen Teleskopen und den unbegrenzten Möglichkeiten des Computers.

„Das Niveau im Amateurbereich ist sehr hoch und steigt weiter“, erklärt Sternfreund Peter Bluhm. Der 53jährige Weltraum-Fan aus der Nähe von Lüneburg setzte vor acht Jahren zum ersten Mal einen Computer im Hobby ein und stellt in Bremen seine „Astro-Mailbox“ vor. Hier können sich Weltraumfreaks vom heimischen Computer via Telefonleitung „einloggen“, und schon stehen neueste Informationen aus den unendlichen Weiten zur Verfügung, vom neuen Kometen bis zur jüngsten Sternenexplosion: „Leute, die die Astronomie als Hobby betreiben, besitzen heute ebenso viele Informationen, wie sie der profesionellen Wissenschaft zur Verfügung stehen“, weiß der Mailbox-Betreiber.

Die Möglichkeiten, den Wissensdurst durch modernste Kommunikationstechnik zu befriedigen, scheinen schier unbegrenzt. Mithilfe von Computerprogrammen fliegen die Sternfreunde über die exakt nachgebildete Marsoberfläche, erhalten die Bilder neuer Himmelskörper per Astro-Fax-Dienst oder informieren sich in Mailboxen und weltweiten Datennetzen über den neuesten Stand der Astro-For- schung.

„Über das Internet, ein weltweites Datennetz, kann ich durch die ganze Welt surfen.“ Und wie Ralf Tietze dies erklärt, hat er sich bereits per Computer in ein Weltraum-Observatorium auf Hawaii eingewählt. In Sekunden erscheinen aktuelle Forschungsdaten auf seinem Bildschirm. „Ich kann hiermit auf das Wissen der ganzen Welt zugreifen“, schwärmt Tietze, „Bücher lesen, die noch gar nicht erschienen sind, Filme oder mal eben die Fotos der Voyager-Sonde ansehen.“ Allerdings fügt der Fernreisende in Sachen Computer warnend hinzu: „Die Menge an Daten ist unendlich groß. Beim Internet-Surfen muß man aufpassen, sonst geht dabei schnell ein ganzer Tag drauf.“

Einen solchen Datenanschluß kann sich die Olbers-Gesellschaft, einer der größten Vereine für Amateur-AstronomInnen in Deutschland auch im 75sten Jahr ihres Bestehens kaum leisten. Wer nicht gerade an einer Uni eingeschrieben ist und von deren Anschluß profitieren kann, muß – zumindest in Deutschland – viel Geld für die schöne weite Daten-Welt ausgeben. Peter Richter, Vorsitzender des Vereins: „Der Abstand zwischen Profitum und Hobby wird immer geringer. Privatleute geben heute bis zu 30.000 Mark für ein starkes Teleskop aus – davon können wir selbst nur träumen.“

Der traurige Nebeneffekt für den Physik-Professor: „Es wird immer mehr Geld ausgegeben, aber immer weniger gemeinsam gemacht.“ So hat auch der Siegeszug des Computers für den Verfechter des „Naturerlebnisses Astronomie“ etwas Bedrohliches: „Ich kenne Leute, die können nur noch mit dem Computer reden, nicht mehr mit dem Mund. Andere gehen im Winter nicht mehr aus der warmen Stube, sondern sitzen am Monitor, hören Musik und lassen ihr Teleskop von dort fernsteuern.“

Sternfreund und Mathelehrer Helmut Orlik kennt zwei Kategorien Mensch in der Hobby-Astronomie: „Teleskopkäufer und Selbstbauer, also Spiegelschleifer wie mich.“ Orlik interessiert sich weniger für Computer und die Angebote der ausstellenden Optik-Firmen. Er sucht und findet Tips und Pläne für das selbstgebaute Fernrohr. „Dieses Hobby braucht nicht viel. Etwas Holz, Kanalrohre aus Plastik, Teflon und viel Geduld um einen Hohlspiegel auf 21tausendstel Millimeter genau zu schleifen. Fertig ist das Teleskop. Und das reicht.“

André Hesel