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Techno für Marx

■ Bei der 16. Volksuni fand ein Vortrag über die Rave-Kultur den größten Anklang / Ansonsten blieb das Stammpublikum, etwa 2.000 Besucher, unter sich

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Die Marxschen Worte im Foyer der Humboldt-Uni fallen einem immer noch sofort ins Auge. Während der Pfingsttage aber sind die bronzefarbenen Buchstaben eingerahmt von vielen kleinen weißen Zetteln, auf denen verschiedene Zahlenkolonnen die Raumnummer und den Zeitpunkt der verschiedenen Veranstaltungen der 16. Berliner Volksuni angeben. Ein Blatt fällt wegen der Größe besonders auf. Mit dickem blauem Filzstift hat jemand „Techno, 15–17 Uhr, Raum 2002“ daraufgeschrieben. Ein Pfeil weist den Weg.

Ursprünglich sollte der Vortrag über Techno-Kultur inklusive einer „Brainmachine“-Sitzung in einem kleinen Seminarraum mit 30 Sitzplätzen stattfinden, doch es kamen fast 300 Leute. „Damit haben wir nicht gerechnet“, gesteht Michael Blaumeiser, der die Idee hatte, das Volksuni-Programm mit Vorträgen, Vorführungen und Diskussionen zur Techno- und Rave-Kultur aufzulockern. Blaumeiser steht mehr auf die Musik der 70er und konnte mit dem neuen Gedröhne bislang wenig anfangen. Das sollte anders werden. „Ich habe ein paar Sachen gelernt. Die Musik fördert Visionäres zutage“, freut er sich jetzt. Hans Cousto, einer der eingeladenen Techno-Experten, meint: „Techno und Tanz führen in einen Bereich der Ekstase, wo der göttliche Funke erlebt werden kann.“ Der göttliche Funke hat bei dem alten Rock 'n' Roller Blaumeiser zwar nicht gezündet, aber eines glaubt er doch zu wissen: „Wir müssen zuerst in uns hineinschauen, um dann aus uns heraus leben zu können.“

Womit auch der Bogen zum Motto der diesjährigen Volksuni „Zukunftsarbeit“ recht und schlecht geglückt wäre. Der Pressesprecher der Volksuni, François Guesnet, will Raver und Techno- Freaks auch für den Marxismus begeistern. Die Vorstellung des Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus in einer Veranstaltung unmittelbar nach der „Brainmachine“-Sitzung ließen die Techno-Interessierten aber ausfallen. Hier war vielmehr das Stammpublikum wieder unter sich. Und weil es so schwierig ist, „neue Kreise“ zu gewinnen, kamen auch nicht – wie erhofft – mehr Pfingststudenten als im Vorjahr, 2.000 waren es wieder. „Es ist schwieriger geworden, prominente Referenten zu bekommen“, weiß François Guesnet und fügt ein wenig resigniert hinzu: „Die machen über Pfingsten lieber Urlaub.“ Einige aber waren in Berlin geblieben und unterhielten sich über das Verhältnis der westdeutschen Linken zur DDR. „Wir waren nicht kritisch genug, weil wir den Applaus von der falschen Seite fürchteten“, resümiert FU-Professor Wolf-Dieter Narr die Blindheit der Linken gegenüber Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Seine Kollegin Gesine Schwan unterlag dieser Versuchung damals nicht. Die Trennung war für sie eindeutig: hier Demokratie, da Diktatur. Daß indes in der gesamtdeutschen Gesellschaft nicht alles eitel Sonnenschein ist, gestand auch sie zu. Die Frage, wie die bestehenden Verhältnisse in Bewegung gebracht und welche Mittel eingesetzt werden können, blieb jedoch offen.

Daß sich auch neue Pfingsstudenten gewinnen lassen, beweisen die Veranstaltungen des erstmals eingerichteten Ressorts MigrantInnen. Viele Volksuni-Erstsemestler, vor allem Frauen, interessierten sich für die Probleme von Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik. Um die rechtliche Situation von Ausländern hierzulande zu verbessern, forderten die TeilnehmerInnen ein Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft und ein Antidiskriminierungsgesetz, das es erlaubt, rassistische Anschläge wie die von Solingen und Rostock konsequenter zu verfolgen. „Da gibt es noch eine Menge Diskussionsstoff“, umriß Teresa Orozco, eine der Organisatorinnen, bereits das Pensum für die nächste Volksuni. Das diesjährige Programm war nach zwei Absagen auf vier Veranstaltungen geschrumpft. Holger Heimann

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