: Streikerfolg für Neoliberale
Brasiliens Erdölarbeiter geben nach 31 Tagen Ausstand auf / Wenig Unterstützung für Beschäftigte des staatlichen Monopolbetriebs ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Nach 31 Tagen gaben sie auf. Ohne daß eine einzige ihrer Forderungen erfüllt worden war, mußten Brasiliens Ölarbeiter gestern in die Raffinerien zurückkehren. Das klägliche Ende des bisher längsten Ausstandes in diesem Bereich ist zugleich der erste Etappensieg der brasilianischen Regierung bei den verbitterten Auseinandersetzungen um die Auflösung des öffentlichen Treibstoffmonopols und die neoliberale Wirtschaftspolitik insgesamt.
Das nationalistische Schlagwort „Das Öl gehört uns“, 1937 von Brasiliens ehemaligem Präsidenten Getulio Vargas für seine nationalistische Politik gebraucht, scheint nicht mehr anzuschlagen. In diesem Monat wird der brasilianische Kongreß darüber entscheiden, ob die Ausbeutung und Verteilung aller Treibstoffe, in Brasilien Diesel, Benzin, Alkohol und Gas, der staatlichen Kontrolle entzogen werden soll.
„Wenn die Arbeiter statt Benzin und Küchengas die Erzeugung von Kerosin unterbrechen könnten, hätte die Regierung bereits mit ihnen verhandelt“, mutmaßt Luis Inacio Lula da Silva, Vorsitzender der brasilianischen Arbeiterpartei PT. „Wenn brasilianische Arbeiter Schlange stehen, kümmert das die Regierung nicht. Aber wenn zweihundert Flugzeuge voll mit Ausländern nicht starten können, wäre Fernando Henrique Cardoso (Brasiliens Präsident, Anmerk. d. Red.) zum Handeln gezwungen.“ In einem öffentlichen Brief warf Lula Brasiliens Staatsoberhaupt mangelnde Sensibilität und Arroganz vor. Die unnachgiebige Position der brasilianischen Regierung, sich mit den Streikführern erst nach der Rückkehr zur Arbeit an einen Tisch zu setzen, brachte die 45.000 Petrobras-Mitarbeiter zu Beginn nur noch mehr gegen die Regierung auf. „Dies ist ein Streik, bei dem die Basis radikalisiert, und nicht die Anführer“, räumte der PT-Abgeordnete Luciano Zica perplex ein.
Vertragsbruch mit Inflation begründet
Der Zorn der Erdölarbeiter beruht auf der Weigerung von Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso, den im vergangenen Jahr von seinem Amtsvorgänger Itamar Franco abgeschlossenen Tarifvertrag als rechtsgültig anzuerkennen. Weil die Regierung befürchtete, durch die durchschnittlich 18prozentige Lohnerhöhungen die mühsam unter Kontrolle gebrachte Inflation wieder in Gang zu bringen, ließ sie mit Hilfe der Justiz das Vertragswerk für verfassungswidrig erklären. Über zweihundert Gewerkschafter wurden gefeuert. Auch der Versuch einer Kommission aus Parlamentariern, zwischen den beiden verfeindeten Parteien zu vermitteln, scheiterte. Die Gewerkschafter weigerten sich, das am Donnerstag verfaßte Dokument der Volksvertreter zu unterzeichnen, da in dem Text lediglich die Revision, nicht jedoch die definitive Wiedereinstellung aller während des Streikes entlassenen Petrobras-Mitarbeiter gefordert wurde.
Der vom höchsten brasilianischen Arbeitsgericht TST (Tribunal Superior de Trabalho) zweimal für ungültig erklärte Streik wird die Gewerkschaft der Erdölarbeiter (FUP) teuer zu stehen kommen. Die 21 dem FUP-Dachverband angehörigen Arbeitnehmervertretungen müssen umgerechnet rund 50 Millionen Mark Bußgeld aufbringen. Mit jedem weiteren Tag unrechtmäßigen Ausstandes wäre diese Summe weiter gestiegen. Sollte das Geld nicht rechtzeitig eintreffen, kündigte der TST an, werden sämtliche Gewerkschaftseinrichtungen gepfändet. Zu den enormen Bußgeldern kommen die Lohnkürzungen. Die rund 37.000 Petrobras-Arbeiter, die dem Streikaufruf der FUP folgten, hatten seit 30 Tagen keine Gehälter mehr bekommen.
„Der Streik ist siegreich und offenbart das wahre Gesicht der Regierung Cardoso. So werden hier die Arbeiter behandelt“, versucht der Vorsitzende der Gewerkschaft der Ölarbeiter (FUP), Antonio Carlos Spis, die Niederlage in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Das brasilianische Wirtschaftsblatt Gazeta Mercantil bewertet die Bedeutung des Streikes radikal anders: „Der Ausstand beweist, wie gefährlich es ist, eine vitale Angelegenheit wie die Treibstoffversorgung einem öffentlichen Monopol zu überlassen, das wie alle Monopole von einer privilegierten Kaste beherrscht wird“, leitartikelt Herausgeber Herbert Levy. Bei der Flexibilisierung des Treibstoffmonopols, das in diesem Monat im Kongreß debattiert wird, könne die Öffentlichkeit dann erkennen, wer wirklich auf der Seite des Volkes stünde.
In der Tat bescheinigen Meinungsumfragen den streikenden Erdölarbeitern das Unverständnis eines großen Teiles der brasilianischen Bevölkerung gegenüber dem Ausstand. Auch PT-Vorsitzender Lula rechnet damit, daß die Vertreter der linken Parteien im brasilianischen Kongreß die Aufweichung der staatlichen Monopole sowie den Trend zur Privatisierung nicht mehr aufhalten können. „Die Bevölkerung vergißt, daß früher (vor dem brasilianischen Präsidenten Getulio Vargas, 1937 bis 1945, Anmerk. d. Red.) alles privat war und die teuren Dienstleistungen nicht besser waren als die heute kostenlosen“, argumentiert Lula.
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