Bitte haben Sie Verständnis!

■ „Die Eingeschlossenen von Altona“/ Sturm-Theater verhebt sich an Sartre

Das geht ja gut los: Mit gleich zwei Entschuldigungen im Programmheft. „Bitte haben Sie Verständnis. Einige Schauspielstudenten stehen zum ersten Mal auf der Bühne.“ (Ähnlich wie es im Supermarkt immer heißt: Ausbildungsbetrieb. Bitte haben Sie Verständnis, wenn es nicht ganz so schnell wie gewohnt geht.) Und besonders Verständnisinnige werden sicherlich den Hinweis schätzen, daß das Sturm-Ensemble nur „geringe technische und finanzielle Möglichkeiten für diese Produktion gehabt“ hat. Diese Produktion, das war Jean-Paul Sartres „Die Eingeschlossenen von Altona“ aus dem Jahre 1959. Gespielt vom „ersten Stanislavski-Studio in Bremen“, ins Leben gerufen von Fereydoun Parsanejad aus Teheran, der seinerzeit übrigens auch „das erste iranische Schultheater“ gegründet hat und für die Inszenierung der „Eingeschlossenen“ verantwortlich zeichnet. Das gehört nicht hierher? Doch. Denn als zur Premiere dreieinhalb Stunden Sartre, Stanislavski und Fereydoun aufeinander trafen, kam wenig mehr heraus als langatmige, tranige Textwiedergabe. Das Ensemble, von Ausnahmen abgesehen, hatte keine Probleme, die – durch Verständnisbonus bereits hoch gehängte – Latte zum schmerzhaft dilettierenden Laienspiel im ersten Anlauf zu nehmen. Und das tat immer wieder weh...

Die Sturm-Truppe unter Parsanejad wollte natürlich auch ihren Beitrag zum 50. Jahrestag des Kriegsendes leisten. Daß allerdings ausgerechnet Sartres papierene, zum verquasten Theoretisieren neigende Dialoge geeignet sind, um heutige Theatergänger für die Brisanz von NS-Kriegsverbrechen und Schuld zu sensibilisieren, muß bezweifelt werden.

Deutschland im Wirtschaftswunder: Der Industriellenfamilie Gerlach geht es schon wieder gut. Im Zweiten Weltkrieg lieferte Vater Gerlach (Theo Nieländer) der Marine Kriegsschiffe, nicht genutztes Werftgelände verkaufte er den Nazis zum Bau eines KZs. Sohn Werner (Timm Grote), der ungeliebte Schwächling, hat sich als Rechtsanwalt etabliert und soll die Firma (der Vater hat nur noch sechs Monate zu leben) übernehmen. Franz (Sascha Kudella), sein älterer Bruder, ist der Eingeschlossenste von allen: Seit 13 Jahren sitzt er in seinem Zimmer, bloß Leni (Britta Voigt), seine Schwester bringt ihm Essen und ein bißchen inzestuöse Liebe. Und auch mit Johanna (Monika Frenking), Werners Frau, verbindet Franz eine gemeinsame Schluckspecht-Vergangenheit. Die will sie nun wieder aufwärmen. Eifersucht erwacht.

Franz ist wirr im Kopf geworden von seiner Zeit als Offizier im Rußlandfeldzug. Standgerichtlich erschossen wurden Partisanen schnell bei ihm, auch wenn es harmlose Bauern waren, aus denen er Geständnisse unter der Folter herauspreßte. Die Alliierten wollten Franz 1946 den Prozeß machen, doch sein Vater scheute keine Kosten, um ihm einen gefälschten Totenschein ausstellen zu lassen. Franz, von Schizophrenie geplagt, will Deutschland, vermeintlich noch in Schutt und Asche liegend, nicht sehen. Schließlich kommt er doch heraus, zu einem letzten Gespräch mit seinem todkranken Vater, einem Gespräch über Schuld und Sühne...

Das Bühnenbild enthält nur das Allernötigste, und deshalb fällt es um so mehr ins Auge, wie die Schauspieler auf der Bühne stehen: wie bestellt und nicht abgeholt. Außer Sascha Kudella, der den Franz Gerlach mit überbordendem Körpereinsatz und großer Stimmbandbreite gibt. Der zweite Akt, der zeigen soll, daß Franz jeder Zeitbegriff in seiner Klause abhanden gekommen ist, gehört ihm. Leider nutzt sich die Art und Weise, wie er die Zerrissenheit Franz' darstellt, ziemlich schnell ab. Hier hätte die Regie eingreifen müssen. Doch Parsanejad läßt seine Schauspieler allein mit dem behäbigen Fünfakter. Kein noch so schmales Budget entschuldigt Langeweile und schlecht geführte Schauspieler. Die allerdings, Ausnahmen siehe oben, Sartres bedeutungsvolle bis -schwangere Zeilen als Fleißarbeit im Auswendiglernen begreifen. Und „Weeerner“ und „steeerben“ norddeutsch breit und alle Infinitive überdeutlich bis zur letzten Silbe artikulieren. Herr Stanislawski, im Sturm-Theater wartet Arbeit auf Sie! Und fangen Sie nicht mit den „Eingeschlossenen von Altona“ an. Eingeschleuste Schulklassen könnten sich in ihrem Vorurteil bestätigt fühlen: Theater ist öde...

Alexander Musik

7.-9.6., 19 Uhr, Schlachthof