In Moskau dem Geist von Rio folgen

■ Offizielle saßen „Allrussischen Naturschutz-Kongreß“ ab

Moskau (taz) – Fast anderthalbtausend hatte man offiziell nach Moskau geladen, und 960 Delegierte haben am Wochenende bei glühender Hitze tatsächlich brav über eine nachhaltige Entwicklung Rußlands gegrübelt. In neunzehn Arbeitsgruppen versuchten die zum ersten „Allrussischen Naturschutz-Kongreß“ Angereisten Rußlands Weg zum „sustainable development“ vorzuzeichnen – ganz in der Nachfolge des Erdgipfels von Rio 1992.

Letzteres ist wörtlich zu verstehen. Daß die Konferenz von zwei Ministern und einem Vizepremier beehrt wurde, weist schon darauf hin, aus welcher Richtung sie initiiert wurde, nämlich von oben. Oder, wie der hilfsbereite Mitarbeiter des russischen Umweltministeriums es ausdrückte: „Diese Leute wurden von den Subjekten der Föderation gewählt. Im großen und ganzen sind es InhaberInnen einer gewissen Macht, die auf Schlüsselpositionen sitzen.“

Immerhin, zahlreiche Verkaufstische bezeugten den Siegeszug von Ökotrödel nun auch in Rußland. Eine Babuschka pries das Blaubuch an, das die russische Regierung gerade rechtzeitig zum großen Ereignis veröffentlichen konnte. Die Fakten, die dem Öko- Atlas zu entnehmen sind, machen sich eher häßlich. Schon im Vorwort erfahren wir, daß die alarmierend hohe offizielle Rate der Säuglingssterblichkeit – in einigen Regionen 19 von 1.000 Neugeborenen – wahrscheinlich auch noch geschönt ist. Ein Drittel der Bevölkerung atmet Luft, deren Verschmutzungsgrad den von der Weltgesundheitsorganisation gerade noch tolerierten Wert um das Fünffache übersteigt.

Mit 25 Ministerien, die die Hauptverschmutzer aus der russischen Industrie vertreten, muß das Moskauer Umweltministerium seine Projekte abstimmen, klagt Ministeriumsmitarbeiter Valentin Luzenko. „Darunter ist auch das Finanzministerium, das sich hartnäckig gegen jegliche steuerliche Bevorzugung ökologisch vorbildlicher Unternehmen wendet.“ Besonders schwer habe es das Ministerium auch mit dem Roskomnjedry (Russisches Komitee für Tiefengeologie). „Das vertritt nämlich die Auffassung, wenn die Schadstoffe einmal in den Tiefen der Erde lagerten, existierten sie nicht mehr.“ Eine schwache Hoffnung hat Luzenko. Das Ministerium will sich künftig direkt an die Duma wenden.

Das Abschlußplenum des Kongresses am Montag zeigte, daß der Weg Rußlands zum „sustainable development“ ungefähr ebenso mit Plänen, Empfehlungen und Kommissionen gepflastert ist wie einst der Weg der Sowjetunion in die lichte Zukunft – und mit den gleichen Chancen, das Ziel zu erreichen. Umweltminister Viktor Danilow-Danilijan übergab die Aufgabe, die Kongreßresolution zu Ende zu formulieren, einer Redaktionskommission und beschied den Delegierten: „Entweder Sie vertrauen uns oder nicht.“

Dazu gab es wenig Anlaß. Als ein Mann aus Daghestan forderte, in der Resolution die Regierung und den Präsidenten für die ökologischen Folgen des Tschetschenien-Krieges verantwortlich zu machen, bekam er zu hören: „Das ist bei uns unter Punkt zwei schon längst berücksichtigt.“ Dort war es auch mit der schärfsten Brille nicht zu entdecken.

Protest gab es dennoch kaum. Die immerhin siebzig „Grünen“, Vertreter ökologischer Bürgerinitiativen, die in der Woche zuvor auf einer Art Sammlungstagung für den Kongreß gewählt worden waren, müssen sich zum Schluß schon resigniert verdrückt haben. Eine der Ausnahmen war mein Sitznachbar, Samuel Fonberstein, Abgeordneter des Ökoklubs des ökologisch schwer gebeutelten Industriestädtchens Tscherepowez in Nordwestrußland. „Merken Sie sich“, flüsterte er mir zu: „Wenn sie im Westen nicht aufhören, jedem lächelnden russischen Minister zu glauben – dann werden sie ihre Hilfsgelder auch weiterhin durch den Schornstein pusten.“ Barbara Kerneck