: Kampf mit dem Taschenrechner
Bei den rot-grünen Verhandlungen in NRW geht es in dieser Woche vornehmlich ums Geld / „Grüne Milchmädchenrechnungen“ versus „blanker Unsinn“ bei den Sozis ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Auf dem Papier ist alles ganz leicht. Da sind sich Grüne und Sozialdemokraten ganz nahe. „Wir wollen die Neuverschuldung bekämpfen“, heißt es im Wahlprogramm der Grünen, „weil die heutige Zinslast von acht Milliarden Mark pro Jahr die Handlungsspielräume für eine ökologische und soziale Reformpolitik einschränkt“. Deshalb sei „mittelfristig“ ein Abbau der jährlichen Neuverschuldung von rund sechs Milliarden Mark und langfristig sogar ein „Abbau der absoluten Verschuldung erforderlich“.
Nun, vom Abbau der absoluten Verschuldung wagt in der SPD niemand zu reden, aber bis zur Jahrtausendwende will Düsseldorfs Finanzminister Heinz Schleußer (SPD) zumindest die Neuverschuldung auf eine Milliarde Mark „zurückführen“. Doch trotz dieser fast gleichlautenden Sparversprechen, der Antischuldenpakt ist noch längst nicht in Sicht.
Noch differieren die Angaben der Zahlenjongleure auf beiden Seiten so sehr, daß seriöse Aussagen über die künftige Haushaltssituation kaum möglich sind. Es fängt schon bei den Schätzungen über die Steuereinnahmen an. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Manfred Busch, wirft Schleußer vor, hier bewußt schwarzzumalen. Dabei bezieht sich Busch auf die aktuelle Steuerschätzung, die das Land Baden-Württemberg im Auftrag aller Bundesländer angestellt hat. Nach diesen Zahlen darf NRW mit etwa 2,5 Milliarden Mark (4 Prozent) mehr rechnen, als Schleußer annimmt. Ein Streit um ungelegte Eier sei das, entgegnen die Sozialdemokraten und empfehlen den Blick zurück: Die „pure Empirie“ belege „die hervorragende Trefferquote“ des Finanzministers, dessen prognostizierte Werte im Durchschnitt der letzten zehn Jahre „nur um 0,4 Prozent“ vom tatsächlichen Ergebnis abgewichen seien.
Als „ganz unseriös“ wertet das Düsseldorfer Finanzministerium die von den Grünen im Wahlkampf suggerierten Einnahmeverbesserungen mittels strengerer Steuerprüfung: Laut grünem Wahlprogramm können „durch eine konsequente Änderung der Besteuerungspraxis die Einnahmen des Landeshaushalts um rund zwei Milliarden Mark erhöht werden“. „Diese grüne Milchmädchenrechnung“ gehe an den Realitäten „vollständig vorbei“, heißt es aus der SPD-Verhandlungsdelegation. Um zwei Milliarden Mark mehr in die NRW-Kasse zu bekommen, müsse man unter anderem wegen des Länderfinanzausgleiches etwa 26 Milliarden mehr an Steuern einnehmen. Solche Sozi-Rechnungen, keilt der grüne Finanzexperte Busch zurück, seien „blanker Unsinn“. Etwa ein Fünftel der Steuermehreinnahmen verblieben dem Land. Doch von den zwei Milliarden Mark ist auch bei den Grünen nicht mehr die Rede. Etwa 200 bis 300 Millionen Mark Mehreinnahmen hält Busch „für realistisch“, wenn man die Steuerprüfung neu organisiere und rund 450 Steuerprüfer – Kosten rund 45 Millionen Mark im Jahr – einstelle.
Streit gibt es auch um die zahlreichen von den Grünen geforderten Ökoabgaben. Prinzipiell sind zwar auch die Sozialdemokraten für Ökoabgaben, aber eine höhere Belastung der Bürger will die SPD vermeiden. Schon jetzt sei ein „historischer Höchststand erreicht“. Letztlich werden sich die beiden Verhandlungspartner hier wohl nur auf ein Wasserentnahmeentgelt – wie in Hessen und Niedersachsen – und eine Sonderabfallabgabe einigen. Für nicht realisierbar hält die SPD auch die grüne Forderung nach Einstellung von 2.500 neuen Grundschullehrern und die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab dem 1. 1. 96. Doch ein Kompromiß scheint möglich. Auch der grüne Finanzexperte Busch will keine absolute Stellenvermehrung im Landesdienst. Insgesamt müsse „innerhalb der Legislaturperiode ein Ausgleich bei den Stellen stattfinden“. Im Klartext: Soll es mehr Lehrer geben, muß die Bürokratie schrumpfen – die Frage ist nur wo. Da steht den Koalitionären noch ein Tanz bevor. Noch größere Hürden bietet die Energiepolitik. Vor allem der Streit um den Braunkohletagebau Garzweiler II steht einer rot-grünen Einigung im Weg. Am Ende der Verhandlungen muß das Aus für Garzweiler II stehen, sagen die Grünen. Doch diesen Weg will die SPD nicht beschreiten. Es könne weder ein uneingeschränktes Ja noch ein Nein geben, heißt es aus der Verhandlungskommission. Daß sich am Wochenende nun auch Bundesumweltministerin Angela Merkel als Garzweiler- Gegnerin geoutet hat, ändert an der Gefechtslage in NRW wenig. Während die Grünen das „Wahnsinnsprojekt“ (Michael Vesper) aus energie- und umweltpolitischen Gründen sterben lassen wollen, argumentiert Merkel allein regionalpolitisch: Sie will Arbeitsplätze im ostdeutschen Braunkohletagebau, denn dort sei „ungleich schwerer ein neuer Job zu finden“ als im reichen NRW.
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