Bremer Forschungsflug in SS-18

■ Drei Kugeln flogen mit alter russischer Rakete 20 Minuten durchs All Mülltonne ins All

Ein russisches Atom-U-Boot vor der Küste bei Murmansk feuert eine Rakete des Typs SS-18 ab. Ziel der strategischen Rakete: die sibirische Halbinsel Kamtschata, 5.600 km entfernt. Krieg in Rußland? Nein, die Rakete fliegt für die Wissenschaft durchs All: Sie ist der Träger für ein Experiment des Bremer Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM).

Im ZARM herrschte gestern trotz Dauerregens eitel Sonnenschein: Die von den Bremer Wissenschaftlern gebaute Experiment-Anordnung „Thermal-Convection-Module“ hat den 35minütigen Flug überstanden und ist heil gelandet.

„In etwa einer Woche fliegt ein Teil unseres Teams nach Rußland, um das Modul zu zerlegen und mit der Auswertung des Experiments zu beginnen“, berichtet Peter Wulf, wissenschaftlicher Mitarbeiter im ZARM. „Das Modul sieht ein bißchen aus wie eine Mülltonne“, sagt er. Darin sind drei apfelsinengroße Kugeln, Modelle der Erde: Die innere Kugel schwimmt in einer Flüssigkeit, das ganze wird durch eine äußere Plexiglaskugel zusammengehalten. Damit werden fester Erdkern, flüssiges Magma und Erdkruste imitiert. Ein Kraftfeld simuliert die Erdanziehungskraft des Apfelsinen-Planeten. Eine Heizspirale in der inneren Kugel erhitzt die Flüssigkeit, das simulierte Erd-Magma kommt in Bewegung.

Diese Strömungen sind das, was die Forscher interessiert. Welche Kräfte wirken auf die Kontinental-Platten und wie bewegen sie sich? Video-Kameras zeichneten während des Fluges auf, wie die Flüssigkeit im Spalt zwischen innerer und äußerer Kugel hin und her strömt.

„Wir benötigen mindestens 20 Minuten Schwerelosigkeit, damit wir die komplexen Strömungsbewegungen lange genau beobachten können“. Solche Experimente mit Schwerelosigkeit waren bisher entweder sehr teuer, zum Beispiel die Weltraumflüge der amerikanischen NASA, oder zu kurz: zum Beispiel 4,7 Sekunden im Bremer Fallturm.

„Rußland hat einen bestimmten Teil seines Abrüstungskontingents für wissenschaftliche Nutzung vorgesehen; die Amerikaner haben diese Chance verschlafen“, erzählt Wulf. Das ZARM-Team ist die erste westliche Wissenschaftlergruppe, die diese Chance jetzt genutzt hat. Weitere Flüge auf dem Rücken abgerüsteter russischer Raketen sind geplant. Elke Gundel