: Schwarzarbeit auf Staatskosten
■ ABM-Bauprojekt für Privatbauten eingesetzt – und die Kontrolleure stochern im Nebel
Sottrum bei Stuckenborstel, der Buckstever Weg, eine Baustelle. Es ist der 22. November letzten Jahres, als ein Notruf beim Rettungsdienst eingeht: Schwerer Unfall, ein Bauarbeiter ist vom Dach gestürzt. Der Mann wird schwerverletzt ins nächste Krankenhaus gebracht. Die Ärzte stellen ein Schädel-Hirntrauma fest. Die nächsten Wochen wird der Mann im Krankenhaus verbringen. Danach wird er vier Wochen in einer Reha-Klinik sein, zwischen Hoffen und Bangen, ob er je wieder gesund wird, ob er je wieder arbeiten kann. Und am Ende steht die bittere Wahrheit: Kopfschmerzen und Schwindelanfälle wird er sein Leben lang nicht wieder ganz loswerden, den Geruchs- und Geschmackssinn hat er verloren.
Ein Arbeitsunfall, wie er sich alle Tage ereignet, und doch ist dieser Unfall alles andere als gewöhnlich. Denn der Mann, der in Sottrum vom Dach gefallen ist, ist Mitarbeiter eines Bauprojektes des Landessportbundes, finanziert aus Landesmitteln und Mitteln des Arbeitsamtes. Und der Mann schwört Stein und Bein, daß der Unfall während seiner Arbeitszeit passiert ist – auf der privaten Baustelle des Projektleiters Siegfried Jakubowski. Und das ist nicht der einzige Vorwurf, den er erhebt: Die Bauarbeiter des Projektes seien vom Projektleiter regelmäßig für private und dubiose Zwecke eingesetzt worden. Ein Vorwurf, der mittlerweile Gegenstand von internen Untersuchungen geworden ist. Doch die Kontrolleure von Arbeitsamt und dem Senator für Arbeit stochern im Nebel (vgl. Kasten). Keiner der Kollegen vom Bau will die Vorwürfe bestätigen. Für den Bauarbeiter ist das nicht überraschend: „Alle verdienen dran, alle haben Angst. Alle haben das Gefühl, der Jakubowski ist da noch die nächsten fünf Jahre.“
Der Mann, der vom Sottrumer Dach fiel, heißt Gottfried Ludewig. Er ist Tischler, war lange Jahre arbeitslos und froh, vor rund vier Jahren endlich einen Job gefunden zu haben. Bei einem Bauprojekt, das seit Ende der 80er Jahre mit öffentlichen Mitteln Sportstätten sanieren und instandhalten soll. Eine sinnvolle Sache, schließlich ist das Geld bei den Sportvereinen knapp, und die öffentlichen Mittel fließen nur spärlich. Außerdem kommen so Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot. Ein typischer Projektaufbau: Handwerksmeister, Anleiter, so wie Gottfried Ludewig, dessen Lohn mit Lohnkostenzuschüssen aus einem Landesprogramm für Langzeitarbeitslose finanziert wird, und ABM-Kräfte, Finanzierung über die Bundesanstalt für Arbeit.
So hätte alles seinen geregelten Gang und ganz legal gehen können, wenn da nicht Siegfried Jakubowski gewesen wäre: der Projektleiter, früher Mitarbeiter im Uni-Sportbereich, dann vom Senator für Arbeit an den Landessportbund ausgeliehen, um dort das Bauprojekt zu leiten. Der LSB nämlich ist der Träger der Maßnahme. Kontrolliert wird das Projekt vom Senator für Arbeit und dem Bremer Arbeitsamt. Jakubowski habe keinerlei Skrupel, seine Baukolonnen ganz anders einzusetzen, sagt Ludewig. „Seit ich dabei war, haben wir für Privatleute gearbeitet“, erinnert er sich. „Nur meistens konnte man bei den Aufträgen nicht erkennen, für wen. Ich war die meiste Zeit in der Tischlerei, und nicht auf den Baustellen.“ Die Unterscheidung zwischen legal und illegal sei ziemlich einfach gewesen. Für die regulären Aufträge gab es beim Projekt reguläre Auftragszettel, die in die Buchhaltung eingingen. „Und dann haben wir immer wieder Aufträge gekriegt, die auf Schmierzetteln notiert waren. Wir haben Haustüren gebaut, wir wußten gar nicht, für wen. Da gab es überhaupt keine Kontrolle.“ Von den fünf Leuten in der Tischlerei seien übers Jahr immer zwei mit Schmierzetteln beschäftigt gewesen.
Für wen alle diese Aufträge waren, das ist (noch) ungewiß. Sicher ist allerdings, was die Bauarbeiter für Siegfried Jakubowski gearbeitet haben, und für seine Tochter, und für seine Schwägerin, glaubt man Ludewig. Er hat mitgeschrieben, manchmal. Seine Liste ist alles andere als komplett, zumal er vor allem in der Tischlerwerkstatt gearbeitet hat, und nicht auf den Baustellen. Notizen einer Selbstbedienung: 1990/91: Parzellenhaus gebaut im Mandelblütenweg 8; Grabenbefestigung; Dach = Dachbalken, Bretter, Dachpappe, Überstand seitlich und über Terassendach verkleidet; Fenster und Türen (große Terassen-Schiebetür; Küchenmöbel und großer Schrank; Maurer- und Klempnerarbeiten. März 1991: Umzug zur Heinrich-Heine-Straße; Küchenmöbel gebaut; Flurschrank, Weinregal; Mauerdurchbruch; Garagentor und Kellertür geändert; Spiegel gerahmt und Borde angebracht; Badezimmer komplett erneuert von Maurern und Klempnern. 1992: Für Klee und Hübner (Schwägerin von Jakubowski) in Sottrum Haustür und Rundbogenfenster über der Tür; zwei Terassentüren, vierflügelig, und 12 Fenster, z.T. vierflügelig, angefertigt und eingebaut. Auf Parzelle: Schuppen aus Holz gebaut. November 1993: Schränke und Regale. Februar 1994: vier Regalschränke für Garagen in Sottrum; Anbauschränke (Unterschränke und Hängeschränke) für Garagen-Abstellraum angefertigt und eingebaut. September 1994: Klempner und Maurer in Sottrum.
Und als die Tochter Jakubowskis eine eigene Wohnung bezog, da kriegte sie ein Bett, einen Schrank, einen Hängeschrank. Alles beste Handwerksqualität, alles aus der Werkstatt des Landessportbundes. Kaum jemand aus dem Projekt habe gewagt, aufzumucken. „Die Leute waren froh, Arbeit zu haben.“ Und wenn es dann doch mal einem zu viel wurde, blieb das ohne Folgen. Ludewig: „Es haben sich mal vereinzelt welche beim Arbeitsamt beschwert. Aber das war komisch. Die waren noch nicht wieder auf der Baustelle, da wußte Jakubowski schon Bescheid.“
So sei alles seinen Gang gegangen, bis zum 22. November letzten Jahres. Bis Gottfried Ludewig sechs Meter tief stürzte. Ludewig kam ins Krankenhaus, Jakubowski in Schwierigkeiten. „Der hat mich dreimal besucht. Und immer wollte er, daß ich den Urlaubsschein abzeichne“, erinnert sich Ludewig. Kein Wunder: Schließlich hatte Jakubowski bei seiner Versicherung angegeben, Ludewig habe am Tag des Unfalls Urlaub gehabt. Die Bauhilfe – ein Freundschaftsdienst. Doch Ludewig tat Jakubowski den Gefallen der Unterschrift nicht. Und er hatte einen handfesten Grund. Er besteht darauf, daß die Verwaltungsberufsgenossenschaft für seinen Fall zuständig ist. Die greift aber nur, wenn der Unfall während der Arbeitszeit passiert ist.
„Das ist in meiner normalen Arbeitszeit passiert. Es war alles, wie immer. Ich bin morgens in die Tischlerei gefahren. Meine Kollegen und ich, wir haben unser Werkzeug zusammengepackt, und dann sind wir nach Sottrum gefahren.“ Bis heute weiß Ludewig nicht, wie die Versicherungsfrage letztendlich entschieden wird.
Bis Weihnachten lag Ludewig im Krankenhaus, bis Anfang Februar war er in der Reha-Klinik. Als er nach Wochen immer noch nichts von seinem Arbeitgeber, dem Landessportbund, gehört hatte, startete er seine erste Anfrage: Was denn nun los sei, wollte er wissen, schon wegen der Versicherung. Und er erzählte von den Mauschelarbeiten und daß er in seiner ganz normalen Arbeitszeit auf der Privatbaustelle gearbeitet habe. Die Reaktion des LSB: Ludewig bekam Post. Die Unfallmeldung Jakubowskis und eine Arbeitszeitkarte. Da konnte Ludewig mit Erstaunen feststellen, daß er am 21. und 22. November 94 mit Urlaub eingetragen war. Für ihn ein durchsichtiges Manöver: „Es gibt keinen unterschriebenen Urlaubsantrag“, sagt er. Für ihn war das ein ganz normaler Arbeitstag.
Nächster Anlauf: Ludewig meldete den Fall beim Senator für Arbeit. Mehrfach hat er dort mit dem zuständigen Sachbearbeiter gesprochen, einmal hat er seine Geschichte sogar einer großen Runde erzählt. Eine Sitzung mit Folgen: In den Akten des Arbeitssenators findet sich ein Vermerk des zuständigen Abteilungsleiters, der bei der Sitzung mit Ludewig dabeigewesen war. „Ein Fall für den Staatsanwalt“, schrieb der Abteilungsleiter. Die Sache sei dringend. Der Fall war Thema einer Referentenrunde beim Arbeitssenator. Reaktion der Behördenspitze: Staatsrat Arnold Knigge erklärte die Angelegenheit zur Chefsache. Ab sofort solle alles über seinen Schreibtisch laufen. Reaktionen: Der Landessportbund und Jakubowski wurden um Stellungnahmen gebeten, Mitarbeiter befragt. Gefunden haben die Kontrolleure nichts, sagt heute Staatsrat Knigge.
Ludewig selbst weiß bis heute nichts von irgendwelchen Ermittlungen: „Mit mir hat sich seitdem niemand in Verbindung gesetzt. Jakubowski muß starke Freunde haben.“ So wunderte sich Ludewig auch nicht über die Aussagen von ehemaligen Kollegen, auch nach seinem Unfall seien die Arbeiten am Privatbau Jakubowskis weitergegangen. Ludewig: „Tischler, Klempner, Maurer, alle waren da. Schließlich wollte Jakubowski unbedingt zum 1. Januar dort einziehen. Wegen irgendwelcher Abschreibungsvorteile.“ Als die Kollegen nach Ludewig gefragt hätten, da habe Jakubowski nur lapidar erklärt: „Der kommt nicht wieder.“
Ludewig fühlt sich umzingelt. Er hat geredet, doch von Reaktionen weiß er nichts. Und als er dann noch hört, daß das Arbeitsamt das Projekt geprüft und nichts gefunden habe, da versteht er die Welt nicht mehr. Und die Bremer Staatsanwaltschaft weiß bis heute nichts von dem Fall.
Sottrum bei Stuckenborstel. Siegfried Jakubowski wohnt unbehelligt in seinem schmucken Haus. Der Fall Ludewig scheint verläppert, sein Arbeitsplatz als Projektleiter gesichert.
Gottfried Ludewig geht immer noch jeden Vormittag zur Therapie. Massage, Bestrahlungen, Schwimmen, Gymnastik. Ganz werden die Schwindelanfäle und die Kopfschmerzen nie verschwinden, hat ihm sein Arzt gesagt. Und seinen Beruf könne er wahrscheinlich auch vergessen. Gottfried Ludewig fühlt sich wie ein Körnchen Sand in einem ansonsten prima geschmierten Getriebe. Ein Körnchen, das lanmgsam kleiner und kleiner gemahlen wird: „Ich war leider nicht tot, sonst wäre alles viel einfacher gegangen.“ Jochen Grabler
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