piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Schlampendrama: Mark Bruces "Love sick" bei der TanzZeit

TanzZeit, die dritte: Nach Toladá und der Frankfurter S.O.A.P. Dance Company ist am Halleschen Ufer die erste Truppe aus London zu Gast: Mark Bruce mit „Love sick“, einem Schlampendrama, inspiriert von der Musik P. J. Harveys. Drei Tänzerinnen und drei Tänzer setzen die zerquälten Kriegstagebücher der Post-Undergroundsängerin in Bewegung um. Mark Bruce hat, soweit möglich, die Perspektive P. J. Harveys übernommen und die Geschlechterverhältnisse, genauer: die Vergewaltigungsphantasien, umgekehrt. Die Männer bleiben merkwürdig anonym. In ihren grauen Hosen und weißen Hemden sind sie bloße Projektionsflächen für das Begehren der Frau, für ihre Haßattacken, Verweigerungen, Verführungen.

Im Dämmerlicht kriecht eine Frau auf allen vieren über die Bühne. Zusammengesunken, erschöpft, aber immer noch zum Sprung bereit. Und dann geht es los, das Horrorszenario der Beziehungshöllen, in der alle nur das eine wollen und nie bekommen: den Anderen, und zwar ganz. Der Körper rollt über den Boden, schnellt in die Luft und fällt wieder in sich zusammen. Später zupfen die drei Tänzerinnen an ihren Kleidern. Nebensächliche Gesten, ein Griff an den Träger und an den Rocksaum werden zum Vokabular einer Verführung, deren Ziel die Vernichtung ist. Die Tänzer sind höllisch gut. Aber während P.J. Harvey mit ihrem Gesang die Welt in einen einzigen Scherbenhaufen verwandelt, fügen sich in Mark Bruces Choreographie verstreute Teile nach und nach zu einem wenn auch disparaten Ganzen. Einzelne Beziehungsdramen sind auszumachen, und es scheint, als ob der Choreograph drei Variationen zu der Person P.J. Harvey auf die Bühne gebracht hätte: die von Drogenkonsum und unglücklicher Liebe zugrund egerichtete P. J. Harvey der ersten CD „Dry“, die von „Rid of me“, die von sich selbst sagt: „Ich bin eine 60 Fuß hohe Queniee, und Queniee frißt die Menschen zum Frühstück“, und last, but not least P. J. Harveys letzte Metamorphose: die dunkle, spirituelle Seite der letzten CD „To Bring you my Love“ – bezeichnenderweise von einer Schwarzen getanzt. Im Schlußbild ist das erste Paar so gut wie tot, das zweite steht entfremdet und ratlos beieinander, und das dritte, am Ende aller körperlichen Kräfte angelangt, lehnt sich ausgelaugt aneinander. Immerhin. Michaela Schlagenwerth

Nächstes Gastspiel bei TanzZeit 95: „Making of Maps/Raid“ (Shobana Jeyashing Dance Company, London). Fr./Sa., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen