: Das Innere und das Äußere
Über Narzißmus, Nacktheit, Scham und Würde, den sogenannten weiblichen Blick, den alten Sexismusverdacht, die neue Prüderie, die Lust am Bild und den Überdruß der Geschlechter aneinander ■ Von Ernest Borneman
Wenn manche heutigen Menschen die Tatsache, daß sexuell attraktive Wesen den klugen vorgezogen werden, entweder als Oberflächlichkeit der Frauen betrachten (wenn das attraktive Wesen ein Mann ist) oder als Sexismus des Mannes (wenn es eine Frau ist), dann zeigt das, wie einseitig unsere Wertmaßstäbe geworden sind. Im Gegensatz zu der herrschenden Meinung, daß der Geschlechtsverkehr zwischen Frauen und Männern nur deshalb so schlecht klappe, weil die Männer so oberflächlich seien und sich nur um hübsche, aber leere Sexpüppchen bemühten, bin ich nach vielen Gesprächen mit Frauen aller Altersstufen zu der Überzeugung gelangt, daß es genau umgekehrt ist: Einer der Gründe, weshalb der heterosexuelle Geschlechtsverkehr seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters nicht mehr richtig funktioniert, ist die mangelnde körperliche Attraktivität der Männer.
Man sollte denken, daß sich das während der letzten Jahre zum Positiven gewendet habe, denn wir leben ja seit etwa einem Jahrzehnt im „Zeitalter der Jugend und Schönheit“, der „Gesundheit“ und des „Umweltbewußtseins“, das beide Geschlechter in gleicher Weise erfaßt hat und beide dazu zwingt, sich durch Jogging, Sport, Diät und Leibesübungen fit zu halten. Man sollte glauben, daß auch der Geschlechtsverkehr jetzt für die heterosexuellen Frauen anregender geworden sei als in der Zeit der dickbäuchigen Sugardaddys.
Weit gefehlt. Denn von dem Zeitpunkt, an dem den Männern und Frauen ihre körperliche Attraktivität wichtiger wurde als ihre sexuelle Befriedigung, begann der Triumph des Narzißmus über die Sexualität. Wie Jane Fonda es einmal ausgedrückt hat: „Wir geben uns derartige Mühe, sexy auszusehen, daß uns für Sex weder Zeit noch Kraft übrigbleibt.“ Der griechische Halbgott Narcissus war so selbstverliebt, daß er sein Ebenbild im Wasserspiegel eines Brunnens zu küssen versuchte und dabei ertrank. Das ist das Bild unserer Dekade. Zu kaum einer Zeit der Geschichte hat es eine vergleichbare Bereitschaft gegeben, auf nahezu alles – so auch auf sexuelle Befriedigung – zu verzichten, um gut auszusehen und fit zu wirken.
Der Frankfurter Arzt Jochen Gallenkamp hat seit vielen Jahren die Männer und Frauen, die eine chirurgische Schönheitskorrektur verlangten, mit Hilfe von tiefenpsychologischen Interviews über ihre Motive befragt und hinter den scheinbar rationalen Gründen in fast jedem Fall ein komplexes Gewebe von mangelndem Selbstvertrauen, anomalem Körpergefühl, Identätskonflikten und narzißtischen Störungen entdeckt. Die Vorstellung, daß man sich sein Aussehen wie ein Fastnachtskostüm aus dem Quelle-Katalog auswählen könne, ist beschämend. Eine derart gestörte Beziehung zum eigenen Körper geht meist mit einer gestörten Beziehung zum Körper des Partners einher. In einem bemerkenswerten Spiegel- Bericht aus dem Jahre 1992 schrieb die Autorin: „Wer freiwillig sein Gesicht verliert, gibt auch seine Geschichte auf. Und wer die Spuren seines Lebens ausradieren läßt, will sich womöglich auch aus der Verantwortung für dieses Leben stehlen.“ Im sexuellen Sinn ist Verantwortung stets die Verantwortung für den Partner. Wer die Spuren des gemeinsamen Lebens tilgt, gibt dadurch kund, daß er sich des anderen schämt.
Um gegen die Vermarktung der Attraktivität zu protestieren, hinter der viele Frauen nur den Versuch sahen, sie an die Männer zu verkuppeln, wurden eine Zeitlang formlose, körperverhüllende Blusen und weite, fußknöchellange Röcke in der Frauenbewegung obligatorisch. Lippenstift, Puder, Augen-Make-up, Parfüm waren verpönt. Es war, als wollten die Frauen durch ihr Aussehen verkünden: „Wir sind über jede Anmache erhaben! Bleibt weg, ihr widerlichen Kerle!“ Viele Frauen empfinden es bis heute als eine besonders tückische Beziehungsfalle der Männergesellschaft, daß der weibliche Körper unter dem Vorwand, er sei so schön, ständig zur Schau gestellt werden soll, während die weibliche Persönlichkeit ein Aschenputteldasein fristet. Das sieht im ersten Augenblick wie eine durchaus berechtigte Beschwerde aus. Aber beim Nachdenken tauchen einige Fragen auf: Stellt der herrschende Narzißmus den männlichen Körper nicht genauso zur Schau? Wertet er die männliche Persönlichkeit nicht genauso ab? Enthüllt, aus umgekehrter Sicht, die Aufwertung der Persönlichkeit und die Abwertung des Körpers nicht ein gestörtes Verhältnis zum körperlichen Teil der Persönlichkeit? Verleugnet eine solche Sicht nicht die Tatsache, daß die Persönlichkeit eine körperliche Dimension besitzt? Leidet eine Frau, die ihren Körper gern anschaut, wirklich darunter, daß andere ihn anschauen?
Eine Antwort darauf ist, daß Selbstsicherheit immer etwas mit Macht zu tun hat. Männer haben den Frauen über Jahrhunderte hinweg systematisch die Selbstachtung geraubt, indem sie sie entmachtet haben. Viele Frauen fühlen sich also nicht ohne Grund entmündigt, wenn sie nur wegen ihrer körperlichen Reize begehrt werden. Männer dagegen fühlen sich eher geschmeichelt, wenn sie merken, daß eine Frau lustvoll auf den männlichen Körper reagiert. „Wenn wir in einer Gesellschaftsordnung lebten, in der kein Zweifel an unseren intellektuellen Fähigkeiten bestünde, würden auch wir uns geschmeichelt fühlen, wegen unserer körperlichen Reize begehrt zu werden“, hat eine der von mir befragten Frauen gesagt. „Wer an der Macht ist und sich für klug hält, kann es sich leisten, auch wegen seiner körperlichen Attraktivität begehrt zu werden. Für den, der machtlos ist und obendrein als dumm gilt, sind Komplimente über den festen Busen und den strammen Po aber beleidigend.“ Stimmt das? Geht sexuelle Anziehung nicht immer auf körperliche Reize zurück? Entspringt der Wunsch mancher Frauen und Männer, wegen ihres schönen Geistes geliebt zu werden, nicht doch der bangen Frage, ob man körperlich attraktiv genug sei?
Einer der Gründe, weshalb die Allianz der einst gegen heterosexuelle Vorurteile verbündeten Schwulen und Lesben auseinandergebrochen ist, ist die Tatsache, daß die homosexuellen Männer in noch höherem Maß als die heterosexuellen von dem Schönheitsideal der perfekten, jungen Körper beherrscht werden, während die Lesben von Anfang an gegen das Ideal der „schönen“ Frau protestiert hatten, weil sie es als eine leere, nur das Äußere betonende Zwangsvorstellung der Männer entlarven und dessen Kult als sexistisch verdammen wollten. In ihrem 1991 auf Deutsch erschienenen Buch „Der Mythos der Schönheit“ meinte Naomi Wolf deshalb, daß der Versuch vieler Hetero-Frauen, sich attraktiv zu machen, ein Geständnis ihrer Unterwerfung unter die Wünsche und Wertmaßstäbe der Männer sei. Das provoziert die Frage, ob lesbische Frauen sich denn nicht für ihre Partnerinnen schön zu machen versuchen.
Nichts schmeichelt der gleichgeschlechtlich liebenden Frau mehr als die Leidenschaft, die sie in ihrer Geliebten erweckt. Bei Heteros ist es nicht anders. Dorothea Zeemann, eine der großen Frauen der österreichischen Literatur, hat gesagt, als sie schon achtzig war: „Das höchste Kompliment, das ein Mann einer Frau machen kann, ist eine anständige Erektion.“
Niemals ging es den Frauen besser als in den Zeiten der Fleischeslust, in denen sie die Macht, die sie über die Sinne der Männer hatten, in politische Macht umsetzen konnten. Was die hochmütige Camille Paglia, die sich als Feministin betrachtet und von der Frauenbewegung als Verräterin an der Sache der Frau verachtet wird, so in Rage versetzte, war die, nach Paglias Worten, „verrückte, selbstmörderische Neigung der heutigen Frauen, eine der wenigen positiven Eigenschaften der Männer, nämlich ihre aggressive Sexualität, als frauenfeindlich abzulehnen“.
Schön wär's für die Heterofrau, meint Paglia, wenn die Männer tatsächlich noch jene virilen Sexbestien wären, für die manche Frauen sie halten. Das wirkliche Problem sei aber, daß die Männer den Großteil ihrer Lust längst eingebüßt hätten oder ihn bestenfalls noch im Verkehr mit anderen Männern auslebten. In Paglias Worten: „Ich bin für starke Frauen und starke Männer, nicht für frustrierte Frauen und kastrierte Männer. Welche selbstachtende Frau hat denn Geduld mit jenen sexuell korrekten Eunuchen, die vor jedem Fick gehorsam fragen: ,Entschuldige bitte, aber darf ich deine Brust berühren?‘“
Es ist sicherlich kein Zufall, daß die Schule der „political correctness“, die vorgibt, sich gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Minderheiten einzusetzen, auch solche abwertenden Begriffe wie „Attraktivismus“ und „Äußerlichkeitismus“ eingeführt hat, um damit die Bevorzugung attraktiver gegenüber unattraktiven Menschen zu geißeln. Aber was sich als verbale Höflichkeit ausgibt, ist oft verkappte Aggression.
Ich habe nichts dagegen, daß Filmstars, die ja im Gegensatz zu Bühnenschauspielern, nicht nur schauspielerisches Talent, sondern auch Sexappeal haben müssen, hoch dotiert und von einer riesigen Anzahl von Zuschauern begehrt werden. Lesbische Frauen haben mir gesagt, daß sie sich von manchen dieser Frauen ebenso aufgegeilt fühlen wie deren männliche Fans; schwule Männer haben mir gesagt, daß sie von manchen Leinwandhelden genauso beeindruckt sind wie deren weibliche Zuschauer. Und wieso auch nicht?
Ich habe so gut wie keine Männer gefunden, die verstehen konnten, weshalb Fotos nackter Frauen als frauenfeindlich betrachtet werden. Nicht etwa, daß den Männern die diesbezüglichen Argumente kritischer Frauen unbekannt wären – sie haben sie ja oft genug in den Schriften weiblicher Journalisten gelesen und in den Diskussionsbeiträgen von Frauen zu Fernseh-Talkshows gehört. Das Problem ist, daß kein heterosexueller Mann diese Argumente nachvollziehen kann. Aufgeklärte, intelligente Heteromänner – meist solche, die mit emanzipierten Frauen leben oder mit ihnen verheiratet sind – weisen auch immer wieder darauf hin, daß sich die feministische Ablehnung von Fotos, Filmen und Videos mit nackten Frauen unweigerlich diskriminierend auf lesbische Erotika auswirken muß.
Die Tatsache, daß die von Männern so geliebten Pornos mit zwei einander liebkosenden Frauen von der Frauenpresse als besonders „sexistisch“ gedeutet werden, erschwert den Frauen die Herstellung lesbischer Filme. Wird die gleiche Szene zwischen zwei Frauen einmal als „frauenfeindlich“ angeprangert (wenn der Regisseur ein Mann ist), zum anderen Mal aber als „emanzipatorisch“ gelobt (wenn der Regisseur eine Frau ist), dann wird die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht am Inhalt, sondern am Geschlecht des Regisseurs festgemacht. Das ist Sexismus mit umgedrehtem Geschlechtsvorzeichen.
Der oft zitierte „weibliche Blick“, der eine lesbische Szene als frauenfreundlich erkennen läßt, wenn sie von einer Frau gefilmt wird, ist mit keinem erdenklichen Kriterium von dem verhaßten Männerblick zu unterscheiden, der die Szene angeblich kennzeichnet, wenn sie von einem Schwanzträger gefilmt worden ist. Ich habe 112 solcher Filme und Videos vor erfahrenen, sachkundigen Frauen und Männern abgespielt und habe in keinem einzigen Fall eine statistisch signifikante Fähigkeit feststellen können, weibliche von männlichen Regisseuren zu unterscheiden.
An der Verbreitung der Ansicht, daß Nacktheit als solche degradierend ist, ist der deutsche Kulturethnologe Hans Peter Duerr nicht unschuldig, der sich in seinem endlosen Windmühlenkampf mit dem verstorbenen Kulturhistoriker Norbert Elias zu der These verstiegen hat, daß Scham – im Gegensatz zu Elias' Lehre von der kulturspezifischen Evolution der Sexualmoral – etwas Angeborenes, Humanspezifisches sei. In wessen politische Nähe Duerr sich begibt, wenn er sich weigert, das Schamgefühl als gesellschaftlich konstituiert anzuerkennen, zeigen die Leserbriefe, die jeder Veröffentlichung seiner Thesen in einem Laienmedium regelmäßig folgen. So zum Beispiel der folgende Leserbrief an den Spiegel: „Dieses Gespräch mit Professor Duerr ist ungeheuer erfreulich. Ungezählte Eltern in Deutschland (West), die seit 15 Jahren gegen den schamverletzenden Sexualkundeunterricht ihrer Kinder protestieren, werden es Ihnen danken. Als pädagogisches Ziel dieses Unterrichts wird den Lehrern verordnet: ,Abbau der Scham‘. Unter Notendruck werden seither Jungen und Mädchen gemeinsam von den Biologielehrern unterrichtet. Zum Beispiel sollen die Jungen Samen von sich, die Mädchen von ihren Vätern mitbringen, um diesen unter Schulmikroskopen sichtbar zu machen. Die Demütigung, die die Mädchen durch solche sexualneurotischen Lehrer und anschließend durch die Jungen auf dem Schulhof erfahren, ist leider bisher nie unter ,sexuellem Mißbrauch‘ gebrandmarkt worden.“
Wer den schulischen Sexualunterricht als „demütigend“, die Lehrer als „Sexualneurotiker“, den gemeinsamen Biologieunterricht von Mädchen und Jungen als „sexuellen Mißbrauch“ empfindet und allen Ernstes glaubt, es gebe Schullehrer, die von den Schülerinnen verlangen, sie sollten ihren Vätern Sperma abzapfen und zur mikroskopischen Untersuchung in die Schule mitbringen, der ist nicht ganz dicht und sollte sich schämen, Leserbriefe über die Natur der Scham zu schreiben.
Tatsächlich hat jene „Scham“, die uns verbietet, uns öffentlich nackt zu zeigen, öffentlich zu koitieren oder an Gruppensex und Partnertausch teilzunehmen, einen ganz bestimmten – wenn auch nicht bewußten – Zweck, nämlich den, die Lust zu steigern. Wie die
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
Eindämmung bestimmter Gewässer den Zweck verfolgt, die Wassermassen zu konzentrieren und in Turbinen zu leiten, so hat jedes sexuelle Verbot den unbewußten Zweck, übertreten zu werden und dadurch die Lust zu konzentrieren. So dient auch Kleidung nicht nur dazu, vor Kälte und Hitze zu schützen, sondern den Wunsch zu erwecken, die Kleider auszuziehen und den anderen nackt zu sehen.
Warum gibt es Pin-ups in Soldatenspinden, Autoreparaturwerkstätten und Fabriken? In der Zeitschrift Zitty (Nr.10, 1993) hat Katharina Rutschky die Frage wie folgt beantwortet: „Um Frauen zu erniedrigen? Wohl kaum. Es geht wohl eher darum, der Trostlosigkeit von Krieg und Arbeitsmonotonie im Männerkollektiv einen bildlich-imaginären Ausweg freizuhalten.“
Eine der häufigsten Kritiken an der Präsentation von Frauen in den Medien ist, daß die Werbung den unredlichen Trick benutze, Männer durch unsachliche, produktfremde, nur dem Blickfang dienende Bilder nackter Models aufzugeilen. Im Juni 1993 nahm der ZAW, der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft, zu dieser Kritik Stellung und veröffentlichte Zahlen, die das Gegenteil beweisen. Zwar erbrachte diese Art von Werbung tatsächlich hohe Verkaufserfolge – aber nicht bei Männern, sondern bei Frauen. Nur vier Prozent der Frauen fühlten sich durch solche Werbung beleidigt, aber 59 Prozent konnten sich nicht vorstellen, welche denkbaren Einwände es dagegen geben könne. Interessanterweise zeigten die seit 1993 immer häufiger auftauchenden Inserate mit Bildern nackter Männer sehr ähnliche Resultate. Einwände von Männern gegen die „männerfeindlichen“ Inserate gab es nicht.
In Norwegen wurde auf Veranlassung der Gleichberechtigungs- Ombudsfrau Inge Stabel im Jahr 1993 das Werbeplakat der Textilkette H.&M., das das Model Anne Nicole Smith in Unterwäsche zeigte, als „verkaufsgefährdend“ nach § 33 der norwegischen Straßenverkehrsordnung eingezogen, nachdem es tagelang von entrüsteten Frauen mit Farbe übersprüht oder einfach von den Plakatwänden abgerissen worden war. Nach Meinung der Ombudsfrau stellte es Frauen „auf kränkende und herabsetzende Weise“ dar. Was daran „kränkend“ oder „herabsetzend“ war, wurde nicht erklärt. Gleichzeitig wurde aber das begleitende Werbeplakat, das den muskulösen Schweden Marcus Schenkenberg mit weitaus weniger am Leibe als seine mit BH und Slip bekleidete Kollegin zeigte, von der Ombudsfrau als „nicht anstößig“ freigegeben. Es wurde zum beliebten Sammelobjekt norwegischer und schwedischer Schwuler. Kein Anflug von Wehklagen über „Kommerzialisierung nackter Menschenkörper“ bei den schwulen Sammlern. Kein Ton auch von Herrn Schenkenberg selbst, daß er sich „mißbraucht“, „gekränkt“ oder „herabgesetzt“ fühle.
Wie weit der Verbalkrieg zum Thema Sex in der Werbung gehen kann, zeigte ein Leserbrief in dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil (Nr.42/1991) während der Debatte um ein Plakat der Firma Benetton, das ein neugeborenes, noch blutiges Baby zeigte. Abweichend von dem eigentlichen Thema der damaligen Diskussion („Soll man die Geburt so darstellen, wie sie ist, oder muß man sie verschönern?“), schrieb eine Leserin: „Was mich daran stört: Hier wird wieder einmal ein nackter weiblicher Körper vermarktet!“ Unter solchen Umständen kann man nur noch auf den nächsten Protest gegen den nächsten Tierfilm warten, wenn dort – Gott behüte – ein weibliches Känguruh oder eine weibliche Schildkröte vermarktet wird.
Und da wir gerade beim Tierschutz sind, ein paar letzte Fragen zum gleichen Thema: Warum gab es keinen Protest, als das Top-Model Christy Turlington splitternackt mit dem Slogan „I'd rather go naked than wear fur“ gegen die Pelzindustrie auftrat? Warum ist die ganze Anzeigenserie, für die Kim Basinger und fünf andere berühmte Frauen sich nackt fotografieren ließen, unbeanstandet geblieben? Weil der Slogan lautete: „Beauty is not about wearing someone else's coat“? Weil beide Kampagnen dem Tierschutz dienten? Was hat der lobenswerte Tierschutz mit der Frage zu tun, ob Fotos nackter Frauen sexistisch sind oder nicht? Entweder – oder!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen