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SanssouciVorschlag

■ Theweleit und Techno: Auseinander-Release-Party im Friseur

Als im Februar mit lautstarker Unterstützung von Stereo Total und den „Schülern und Studentinnen“ aus Bielefeld die erste Ausgabe der Kulturzeitschrift Auseinander der zahlreich im Roten Salon der Volksbühne erschienenen Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war die Verwirrung groß. 68 Seiten, die zum stolzen Preis von 8 Mark das überschaubar machten, was studierte junge Menschen von heute so beschäftigt. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: In der Spex tauchte ein gefälschter Leserbrief auf, der den Eindruck entstehen ließ, Auseinander-Mastermind Sebastian Lütgert habe Kerstin Grether als „Gräte“ bezeichnet. Darüber hinaus unterstellte man ihm postwendend, der neue Diederichsen werden zu wollen. Eine Spex später griff dann Christian Storms in die vollen, er sah in der Auseinander- Schreibe den Gestus eines SPD-Kreisvorsitzenden und diffamierte Lütgert als Spex-Leserbriefschreiber. 17° Celsius aus dem unterkühlten Hamburg entdeckte die „Zeitung für den neuen deutschen Wimp der 90er Jahre“, Westzeit vermutete einen „großangelegten Hype des eigenen soziokulturellen Umfelds, der eine Art Schutzfunktion übernehmen soll“. Keine kleinen Geschütze also, die da aufgefahren wurden, um die Crew um die beiden verdienten Scheinschlag-Plattenkritiker Harald Peters und Sebastian Lütgert auf die bestehende Diskursverkehrsordnung hinzuweisen. Was also hatte sich ereignet?

In der ersten Ausgabe dieser Zeitschrift „gegen das Hier und Jetzt“, deren Intention es ist, das „Verschwinden von Identität“ vierteljährlich zu organisieren, war zumindest einiges gelungen. Tatsächlich wurden „Dinge aus ihrem Zusammenhang gerissen und dorthin zerstreut, wo mit ihnen etwas anzufangen ist“ – Der Easy-Listening-Report folgte auf ein Tolmein-Interview, das „Programm der medienpolitischen Ambulanzen“ traf auf die ultimative Hitparade des Jahres 1994, die ihrerseits Mike Davis und Kylie Minogue auf einen Nenner brachte. Tobias Rapp versuchte sich am Kurzschluß von Spiral-Tribe-Soundsystem und französischer Philosophie, Arne Höcker, Sänger der „Schüler und Studentinnen“ aus Bielefeld, versuchte sich als Essayist am Thema „Anzüge“. Seitenweise Buchrezensionen ordneten die Vielfalt der Neuerscheinungen. Die neue Ausgabe setzt dieses Bastler-Prinzip entschlossen fort: Sebastian Lütgert referiert auf sechs unterhaltsamen Seiten seine Zeit als Duran-Duran-Fan und stellt fest, daß die Bemühungen der Durans, Public Enemy zu covern, ungefähr so sinnvoll wären wie der Versuch der drei Fragezeichen, den Mord an Malcom X aufzuklären. Sechs Seiten Theweleit-Interview, eine zweite Untersuchung zu nomadisierenden Kriegsmaschinen und Technokult, eine Rezension von Pasolinis unvollendetem Roman „Petrolio“ und Harald Peters' Recherchen im Take-That-Milieu („Jungs wie wir“) machen die Lektüre zu einem – wenn auch oft noch etwas holprigen – Vergnügen. Um soviel Theorie tanzbar zu machen, legen heute abend die Friseur-DJs extra dicken House und ein wenig Electro auf. Gunnar Lützow

Auseinander-Release-Party heute um 22 Uhr im Friseur, Kronenstraße 3, Mitte. Eintritt: 5 Mark, mit Heft 8 Mark.

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