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■ Vor der Urwahl des BürgermeisterkandidatenDas Bremer Dilemma

Da soll am Sonntag eine Partei über den zukünftigen Kurs der Stadt abstimmen, die Mitglieder sollen sich für Rot-Grün oder Rot-Schwarz entscheiden, doch Diskussionen finden kaum statt. Lahm und lustlos reagiert die Basis auf das Duell der beiden Bürgermeisterkandidaten. So lahm, daß der Parteivorstand schon Angst hat, daß nicht mal ein Fünftel der Bremer GenossInnen überhaupt abstimmen werden. Die Partei, von der man angenommen hatte, sie habe schon vor vier Jahren einen Tiefpunkt erreicht, fällt und fällt. Doch sie muß weiterregieren, weil Schwarz- Grün keine ernsthafte Alternative ist. Weder für die Grünen, noch für die CDU. Das ist das Bremer Dilemma: Ohne die SPD geht nichts, aber mit ihr geht gleich gar nichts. Das war schon in den Jahren der Bremer Ampelregierung so: Grüne und FDP streiten sich, schaukeln sich in Blockaden, und dazwischen steht die SPD, profillos und ohne erkennbare Mitte.

Die SPD hat ein Großstadtproblem. Überall da, wo sich die Grünen als dritte Kraft etabliert haben, kommt die SPD ins Rutschen. Überall da, wo die Grünen gleichzeitig in politische Kernbereiche vorstoßen, in die Finanz- und Wirtschaftsressorts, und das soziale und ökologische Gewissen glaubhaft verkörpern, bröckelt die SPD nach allen Seiten. Die Frage, was denn eigentlich noch genuin sozialdemokratische Politik ist, wird immer schwieriger zu beantworten. Aus wievielen Parteien besteht die SPD? Bei der Bremer Sozialdemokratie steht auf der einen Seite ein Modernisierungsflügel, der Ökologie und soziale Absicherung bei gleichzeitiger Sparpolitik und einer dringend nötigen Verwaltungsreform auf seine Fahnen geschrieben hat. Die Trennschärfe gegenüber den Grünen besteht lediglich in der Farbe des Parteibuchs. Man ist halt bei der SPD. Auf der anderen Seite stehen die Traditionalisten. Deren Problem ist, daß sie bei der Abgrenzung zum Ökoflügel inhaltlich so nahe an die Vorstellungen der CDU gerückt sind, daß von dieser Seite für die Partei nur noch eine Milieu-Identität übriggeblieben ist. Die Partei der kleinen Leute, der Gewerkschaften. Und selbst diese Bastion ist nicht mehr das, was sie mal war. Schließlich hat sich gerade der Bremer DGB für Rot-Grün ausgesprochen.

Beide Flügel eint der Mangel an Köpfen, die in der Lage wären, lagerübergreifende Identitäten zu bilden und gemeinsame Programme zu formulieren, die auf der Höhe der Zeit wären. Beide Flügel eint, daß man den jeweils anderen Flügel nicht leiden kann, jedenfalls weniger, als die jeweiligen Wunschkoalitionäre CDU und Grün. Zu wenig Einigkeit für eine gemeinsame Partei. Jochen Grabler

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