Auf die Pezzi-Bälle, fertig, los!

■ Zwei Berliner Schulen sind in ein internationales Netzwerk für Gesundheitsförderung integriert / Die Kids freuen sich über Öko-Klassenräume

„Sitz doch mal ruhig!“ Diese ewige Lehrerermahnung ist inzwischen tabu an der 2. Grundschule Prenzlauer Berg. Statt dessen heißt es dort: „Möchtste dich nicht mal auf'n Pezzi-Ball setzen?“ Die großen luftgefüllten Gummibälle ermöglichen variable Sitzpositionen für kleine Zappelphilippe. Doch nicht nur die hypermotorischen Kinder, deren es mindestens eines pro Klasse gibt, profitieren von den kugelrunden Sitzmöbeln. Ihre krummrückigen Klassenkameraden können damit die Rückenmuskulatur stärken. Immerhin jedeR zweite SechstkläßlerIn weist eine Fehlhaltung auf.

„Früh krümmt sich, was später eine große schiefe Wirbelsäule werden will“, weiß Karin Schmedding von der Barmer Ersatzkasse. „Das wollen wir jedoch verhindern.“ Die Krankenkasse hat die Angebote für die Prenzlberger Kids im Rahmen des Modellversuchs Gesundheitsfördernde Schulen mit finanziert. Vor drei Jahren wurde das europäische Netzwerk von Weltgesundheitsorganisation, Europarat und Europäischer Kommission gegründet. Die Idee ging von Polen, Ungarn und der CSFR aus. Inzwischen sind fast dreißig europäische Länder beteiligt. „Deutschland ist seit 1993 mit 13 Bundesländern dabei“, erläutert Elisabeth Müller-Heck, die bei der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport für Gesundheitsförderung tätig ist und das Projekt betreut. „Jedes Bundesland hat zwei Schulen ausgewählt, weitere fünf Schulen pro Bundesland sollen assoziiert werden.“ Das heißt, sie können nicht sämtliche Vorteile des Modellversuches in Anspruch nehmen. Die Schulen werden mit bis zu 20.000 Mark Projektgeld unterstützt, die Hälfte tragen die Sponsoren.

Das Konzept ist auf Ganzheitlichkeit angelegt, und so machen sich die Prenzlberger Grundschüler nicht nur für eine gerade Sitzhaltung stark. Ihre Schule soll nach ökologischen Gesichtspunkten umgestaltet werden. Vorerst reicht es nur für zwei Modellklassenzimmer. Der Öko-plus-Raum wurde – im Gegensatz zum Öko-Raum – bis auf die Grundmauern von seinem alten Putz befreit. „Aus finanziellen Gründen kann kein vollständiges goetheanisch-waldorfsches Farbkonzept umgesetzt werden, das jeder Altersstufe bestimmte Farbtöne zuordnet“, erklärt Schulleiterin Birgit Becker. So seien Naturharzfarben in warmen orangeroten und gelben Tönen für die unteren Klassenstufen und ein beruhigendes Blaugrün für die Fünft- und Sechstkläßler gewählt worden. Die ergonomischen Tische und Stühle sind individuell höhen- und ebenenverstellbar, die Tafel wird freundlich beleuchtet, und die Heizung stellt sich automatisch ab, wenn das Fenster geöffnet wird. Alle, die noch eine Weile mit abblätternder Farbe und grellem Neonlicht vorliebnehmen müssen, können inzwischen Milch trinken oder Yoga und Entspannungstechniken üben.

Der Schulhof wurde in Zusammenarbeit mit Öko-Architekten der Stadtverschönerungsgesellschaft S.T.E.R.N. umgestaltet. Die Attraktion: Ein grünes Zelt, aus lebenden Weidenruten geflochten. „Das ist begehrter als Eis am Stiel“, freut sich Becker. Die Schulhofbäume sind von ihren Fußfesseln erlöst. Das abgetragene Asphaltgemisch mußte als Sondermüll entsorgt werden. „Das war derartig kostenintensiv, daß auf die Entsiegelung der gesamten Schulhoffläche vorerst verzichtet werden mußte“, klagt die Schulleiterin. Dabei fällt ihr noch einiges ein, was verbessert werden könnte. Nicht zuletzt die Toiletten: „Die machen keinen guten Eindruck.“

Pädagogische Anliegen konnten weitgehend umgesetzt werden. Darunter die themenbezogenen Projekttage mit der gemeinnützigen Ärztegesellschaft M.U.T. und der offene Unterricht. Es wird blockweise mit flexiblen Pausen gearbeitet. Das Pausenklingeln unterbricht nur für die großen Hofpausen. „Die sind wichtig, denn Unkonzentriertheit und Prügeleien sind häufige Folgen von Bewegungsmangel“, weiß Becker.

Das Lernziel wird wöchentlich zusammen mit den Schülern abgesteckt. Gefrühstückt wird gemeinsam und bald wird, wenn alles nach Plan geht, in der Lehrküche gekocht. Das machen die Schüler der Bertha-von-Suttner-Oberschule in Reinickendorf bereits: „Mit einem Zwei-Sterne-Koch“, wie die Projektkoordinatorin Barbara Winkler erzählt. Die zweite Modellschule setzt vor allem auf Workshops und Vorträge. Von den Pezzi-Bällen waren die Siebtkläßler nicht ganz so begeistert wie die Zehnt- und Elftkläßler. Die kleinen Gymnasiasten sind in der schwierigen Phase zwischen „nicht mehr verspielt“und „noch nicht gesundheitsbewußt“. Das alles ist nur mit viel Fortbildung von Lehrerseite zu machen, weiß Winkler. Ursula Dohme