■ Die Nordlichter, der Suff und die Versuchsratten
: Hick! Sind's wieder mal die Gene?

Stockholm (taz) – Endlich wissen FinnInnen und SchwedInnen, warum sie ein gestörtes Verhältnis zum Alkohol haben. Sie können nichts dafür: Die Gene sind's. Ihr Alkmißbrauch hat biologische Ursachen, will Professor Lars Tarenius vom Karolinischen Institut in Stockholm herausgefunden haben. Die Nordeuropäer hätten ein spezielles Gen, welches sie zu ungezügeltem Saufen verführt. Und dummerweise fehlten ihnen gleichzeitig einige Resistenzgene zwecks Rauschzügelung. Nicht nur die SkandinavierInnen seien mit der genetischen Alkoholismusveranlagung geschlagen, sondern beispielsweise auch die US-Indianer und die Eskimos auf Grönland.

Ungefähr zehn Prozent der Schweden und Finnen haben Alkoholprobleme – bei der weiblichen Bevölkerung deutlich weniger. Bei den Indianern und Eskimos liegt dieser Satz sogar bei 30 bis 40 Prozent. Seit Beginn der neunziger Jahre haben erste Forschungen auf genetische Abweichungen bei Alkis hingewiesen. Eine Forschergruppe in Texas hatte damals entdeckt, daß eine bestimmte Signalsubstanz im Gehirn – Dopamin-2 – bei Menschen mit Alkproblem wesentlich häufiger anzutreffen war als bei einer mäßig trinkenden Kontrollgruppe. Etwa 30 weitere Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem Säufer-Gen und Alkoholrisiko bestätigt.

Die Tarenius-Studie zeigt nunmehr eine deutlich ausgeprägte unterschiedliche Verteilung des Säufer-Gens zwischen Nordeuropa und Mittelmeerraum. In Schweden und Finnland haben rund 40 Prozent der „Eingeborenen“ dieses Gen. Im Süden ist es wesentlich weniger zu finden, in Griechenland nicht mal bei zehn Prozent der Bevölkerung.

Wenn ForscherInnen nicht so recht weiterwissen, greifen sie zu Ratten. Sind diese vom Genaufbau sonst recht menschenähnlich, weichen sie in einer Veranlagung auffallend deutlich vom homo sapiens ab: Sie verabscheuen Alkohol. Sie mögen den Geschmack nicht, war bislang die Erklärung dafür. Laut Lars Terenius sind es aber nicht die Geschmackssinne, sondern die Gene. Er hat nämlich einen Rattenstamm gefunden, dem Alk offenbar schmeckt. Tarenius: „Sie trinken ganz spontan, und ihnen bekommt das offenbar auch.“ Sie sind dazu nicht etwa durch raffinierte Mixgetränke verführt worden, die ihre Sinne austricksten, sondern mit achtprozentigem Alkohol. Im Gegensatz zu Menschen besäuft sich dieser Rattenstamm nicht bis zur Besinnungslosigkeit. „Bis zu einem leichten Schwips lassen sie es kommen – mehr nicht“, so Tarenius. Bei diesen Ratten wurde zwar nicht das Säufer-Gen gefunden, aber ihnen fehlen, so die Forscherthese, einige Resistenzgene.

Bei der Erkenntnis, daß Alkoholismus jedenfalls nicht nur gesellschaftliche und psychische, sondern auch biologische Ursachen hat, dürften im Zeitalter der Gentechnologie bald Stimmen laut werden, hier „ordnend“ einzugreifen. Doch noch sind die Forschungsergebnisse dazu nicht gründlich genug. Allerdings läuft bereits eine Forschungsserie, bei der die Erbmassen von Familien, in denen mehr als zwei Geschwister Alkis sind, systematisch untersucht werden. 150 Familien hat man durchgecheckt, 500 bis 600 müssen es für „sichere“ Aussagen sein.

Schon jetzt soll feststehen, daß es allein der saufende Vater ist, der seine Gene an die dann ebenfalls gefährdeten Nachkommen weitergibt. Eine Erkenntnis, die offenbar bereits den Verfassern der Kirchenbücher im letzten Jahrhundert in Schweden bekannt war: Dort steht bei Geburten jeweils besonders vermerkt, wenn der Vater Säufer war. Reinhard Wolff