„Wir müssen diese Krise kreativ nutzen!“

Frauen gebären Kinder, Männer bekommen Maschinen / Umweltressorts sind die Brücken für Frauen zu den künftigen Machtzentren / Frauen in Führungspositionen müssen lernen zu nehmen / Die Macht der Männer ist die Angst vor dem Verlust ihrer Bequemlichkeit

Der Anteil der Frauen im mittleren Management liegt bei durchschnittlich fünf bis zehn Prozent, in den Führungsetagen unter zwei Prozent. Aber viele Frauen machen insbesondere in der Ökologie von sich reden. Sind Frauen die besseren Führungskräfte mit der größeren sozialen Kompetenz? Ist die ökologische Zukunft weiblich? Andreas Lohse sprach mit der Unternehmensberaterin und Leiterin des Kölner Managerinnen-Kollegs, Ilse Martin.

taz: Frauen sind in den Chefetagen größerer Unternehmen kaum vertreten. Nun könnten wir bei der Suche nach Gründen verharren, Macht und Privilegien debattieren. Machen wir es anders: Wie geht es voran?

Ilse Martin: Im Moment beobachte ich einen Umbruch und eine Polarisierung: Es gibt mehr Frauen, die Kraft und Macht einsetzen wollen, um sich in Führungspositionen zu stärken, zu etablieren und zu vernetzen. Andere arbeiten gerade diametral entgegen, leben ihre kleinen Welten, Opportunismus, aber auch Resignation. Ich gehe davon aus, daß jene, die mehr wollen, in den nächsten ein, zwei Jahren auch zu einer großen politischen Kraft werden.

Wie ist die Tendenz der letzten Jahre? Können Sie einen unmittelbaren Zusammenhang erkennen zwischen Frauenförderplänen, Gleichstellungsaktivitäten und Aufstieg, Fall und Konsolidierung der Weltwirtschaft?

Frauenförderpläne und andere Maßnahmen sind sehr politisch gehandhabt worden und beinhalten auch heute noch wichtige politische Forderungen. Ich sehe in der europäischen Wirtschaft bis jetzt wenig Veränderungen, ja sogar eine Erstarrung. Das führe ich darauf zurück, daß wir in einer wirtschaftlichen Krise sind und das Thema „Frauen in Führungspositionen“ eher nach hinten geschoben wird. Posten für Frauenbeauftragte werden eingestellt, Frauenförderpläne werden nur noch sehr abschätzig behandelt, Betriebsräte und Betriebsrätinnen interessieren sich immer weniger dafür.

Es heißt, daß es eigentlich gar nicht darum gehe, ob Frauen Karriere machen wollten – vor allem müßten Männer wollen, daß Frauen Karriere machen. Spricht so ein Satz den Frauen nicht jegliche eigenständige Führungskompetenz ab?

Nein, denn wir werden in der Tat am stärksten durch die massiven Ängste der Männer blockiert. Gravierende Veränderungen können wir aber im Bereich der Selbständigkeit sehen: 1980 wurden 20 Prozent der Unternehmen von Frauen gegründet, jetzt sind es schon weit mehr als ein Drittel. Und wenn man die USA betrachtet, werden 1995 sogar 50 Prozent aller Existenzgründungen von Frauen vorgenommen. Da hat sich etwas geändert: Die Frauen sind ihre eigenen Wege gegangen, da entlang, wo sie nicht so viele geschlechtsspezifische Stolpersteine sehen und ebensolche Hierarchien überbrücken müssen, wo sie Möglichkeiten zur Gestaltung haben – die bei der Existenzgründung wiederum stark durch die Banken gehemmt werden.

Auf welchen Ebenen des Managements und der hierarchischen Positionen haben die Männer denn besonders Angst vor den Frauen?

Auf der Ebene der Referatsleitung beispielsweise, auf der unteren Führungsebene also, ist noch ein Wohlwollen der Männer erkennbar. Da erlebe ich sogar viel Mentorenschaft von Männern, die Frauen durchaus fördern. Aber sobald sie in Positionen kommen, wo es um strategisch-visionäre Entscheidungen geht, liegen die Ängste ganz tief. Ich stelle oft fest, daß wir von Männern mit Angst beäugt werden, und nützliche Innovationen innerhalb eines Betriebes, die von Frauen initiiert sind, werden von Männern einfach nur blockiert.

Was steckt dahinter?

Für mich ist es die Angst vor dem Machtverlust, aber ich denke, man muß noch ein bißchen weiter dahinterschauen: Vielleicht ist es auch die Angst vor dem Verlust von Bequemlichkeit, davor, selber etwas tun zu müssen, herausgefordert zu werden. Es ist eben sicherer, eine Position zu besetzen, als sich auf neuen Wegen zu bewegen.

Wenn Männer Angst haben, Positionen zu verlieren und diese nicht kampflos aufgeben, können doch Frauen auch den kalten Weg ins oberste Management nehmen: indem sie Plätze besetzen, die Männer freigeben, weil die das Unternehmen wechseln oder in Pension gehen.

Im Prinzip ja. Doch wenn wir in die Wirtschaft sehen, muß man auch beachten, daß eher die „Soft- Positionen“ von Frauen besetzt werden – zum Beispiel die Personalebene –, also Abteilungen, in denen Frauen einen niedrigeren Durchschnittsverdienst haben. Die sind wenig attraktiv für Männer.

Auf diesen Stellen können Frauen natürlich leichter in Führungspositionen einsteigen. Und betrachtet man ihre Ausbildung, liegen ihnen mitunter diese Stellen auch besser, weil sie statt Mathematik und Controlling vielleicht Geisteswissenschaften studiert haben. Dann kommen sie als Quereinsteigerinnen besser hinein.

Schaut man in den Finanzbereich, Vertrieb und Verkauf, sind Führungspositionen von Männern besetzt, die dann auch noch ein höheres Einkommensniveau haben als frauengeführte Abteilungen.

Geht es um Beruf und Management, tauchen bei Frauen beinahe parallel die Begriffe Familie und Partnerschaft auf, bei Männern hingegen Machtstreben und Hierarchie. Ist weibliches Management demzufolge weitsichtiger und vielschichtiger als männliches?

Schwer zu sagen. Frauen können und müssen allerdings langfristiger denken – und aus biologischen Gründen natürlich auch zyklischer. Damit haben sie andere Gestaltungsmöglichkeiten als Männer – ob besser oder schlechter will ich gar nicht bewerten.

Ich halte sehr viel von klarem, strategischem Führungsstil. Ich halte aber auch sehr viel von Führungsfrauen, die ihre kommunikativen Fähigkeiten bewußt einsetzen. Und natürlich fordern sie viel stärker die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weil viele dies bewußt leben wollen. Sie fordern eine Qualität in der Partnerschaft und fordern dies auch in ihrer Arbeit, sind da stärker involviert und versuchen, die Männer auf einen anderen Weg zu bringen. Ich denke, das ist bei Männern nicht so stark im Bewußtsein verankert.

Tut sich da was?

Wenn wir uns auch heute noch die schulische Laufbahn von Jungen ansehen, ist die immer stärker berufs- als familienorientiert. Gleichwohl will ich behaupten, daß sich gerade in der Altersgruppe der etwa 25- bis 30jährigen Männer etwas tut, beispielsweise hinsichtlich der Vereinbarkeit oder hinsichtlich dessen, daß auch die nicht immer 18 Stunden täglich arbeiten, sondern mehr Familie und Freizeit haben wollen.

Sieht man sich allerdings Untersuchungen an, wie sie bei VW nach der Arbeitszeitverkürzung durchgeführt wurden, mache ich wieder ein großes Fragezeichen, ob sich tatsächlich viel verändert hat. Männer nutzen ihre Freizeit für Sport und Weiterbildung, Frauen sorgen dann doch wieder mehr für den Haushalt.

Das gereicht ihnen aber auch zum Nachteil: Während bei Männern familiäre Verpflichtungen positiv, weil stabilisierend, gewertet werden, gilt dies bei Frauen oft als Hindernis.

Ich habe da auch keine großen Erwartungen, daß sich das in nächster Zeit ändern wird. Solange die Wirtschaft von der Angst vor Schwangerschaften beherrscht wird, sehe ich nur schwer die Möglichkeit einer Veränderung ...

... Sie meinen die Angst der Führungskräfte, daß der Firma Produktivität ausfällt.

Ja, denn solange gesagt wird, soundsoviel Mark haben wir auf der Trainee-Ebene für eine nachrückende Führungskraft investiert, die dann möglicherweise eine Weile wegbleiben könnte, sind Frauen ein vermeintlich höherer Risikofaktor als Männer. Da gibt es wirtschaftliche Zwänge, oder sie werden vorgeschoben, und somit ist der Einstieg einer Frau ins obere Management behindert.

Allerdings weiß natürlich keine Firma, ob eine männliche Führungskraft mit Karrierebild im Kopf nicht nach zwei Jahren einfach den Betrieb wechselt.

Dann sollten doch Frauen einfach jene Männer in der Ecke stehen lassen, die sie in dieser Hinsicht nicht unterstützen oder zu keinen Kompromissen fähig sind.

In der Tat. Frauen müssen ihre Sachen einfach für sich machen und sich zunächst ihr eigenes Leben arrangieren. Dazu gehört möglicherweise auch der bewußte Verzicht auf Kinder, die Verwirklichung auf anderen Ebenen. Frauen können auch Ideen und Kreativität in die Welt setzen.

Die Mehrzahl der Frauen – um so mehr die mit Familien – sind doch die Managerinnen par excellence mit Organisations- und Einfühlungsvermögen, geübt als Psychologin und Kauffrau – also mit gesuchten Führungsqualitäten.

Der Hausfrauenberuf ist nicht anerkannt. Frauen machen ganz selten den Sprung, diese professionellen Leistungen und Organisationsaufgaben in den Beruf zu übertragen. Das liegt meiner Ansicht nach daran, daß tatsächlich die Hausarbeit keine oder wenig – schon gar keine materielle – Wertschätzung erfährt. Das weiß auch jeder Mann, der auf Vereinbarkeit setzt und zunächst einen Prozeß durchmacht, der ihm gar nicht gefallen wird. Das erlebt die Frau aber ständig und kommt damit nur schwer vorwärts. Selbst wenn wir in Frauennetzwerken daran arbeiten, ist die Rückfallquote zu Hause einfach so groß, daß die Frauen daraus kaum Selbstbewußtsein ziehen.

Appellieren Sie also, Hausarbeit nicht als Freizeitbeschäftigung zu sehen, sondern als Arbeit zu entlohnen?

Nein, ich bin keine Kämpferin für Hausfrauenlohn. Das ginge in die falsche Richtung. Ich würde es wirtschaftlich ganz anders angehen: über das Bruttosozialprodukt.

Inwiefern?

Es werden ja alle professionellen Dienstleistungen berechnet: Krankenschwestern, Pfleger, Psychologen kann man wirtschaftlich bewerten. Alles, was an Organisation und Management von Frauen geleistet wird – egal, ob berufstätig oder nicht –, sollte man ebenso bewerten und ins Bruttosozialprodukt einbeziehen. Dann hätte die Hausarbeit auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wert, der für uns besser einzufordern wäre und wir könnten auf dieser Ebene ein öffentliches Äquivalent schaffen: Was wird geleistet, wieviel ist das wert, wieviel müßten wir bezahlen, wenn wir diese Leistung kaufen?

Wenn Frauen als Führungskräfte von sich reden machen, dann häufig im ökologischen Bereich: Monika Griefahn, Angela Merkel, Edda Müller, Britta Steilmann. Wieso gibt man beispielsweise auf Ministerebene eher den Umweltschutz in die Hände von Frauen, statt ihnen das Finanzressort anzuvertrauen oder den Bereich Wirtschaft?

Geld ist Macht. Ich zähle den ökologischen Bereich zum Soft- Bereich – also zu dem Bereich, der für Frauen leichter zu erschließen ist, weil er unbequem ist und von Männern deshalb nicht besonders geliebt wird.

Aber ich sehe das Umweltressort als Brückenressort. Denn es wird zu einer weiteren Verknappung unserer finanziellen Ressourcen kommen, und ich behaupte, der so gern beschworene Wirtschaftsaufschwung ist eine Vorspiegelung und noch gar nicht da, weder auf dem Arbeits- noch auf dem Käufermarkt.

Das Umweltressort zu besetzen bedeutet auch, Machtpositionen zu besetzen. Es ist wichtig, dort Forderungen zu stellen – auch wenn Frau Merkel mit vielen Dingen sicherlich badengehen wird. Wichtig ist, daß die Forderungen von einer Frau gestellt werden, und zwar immer und immer wieder, weil sie dadurch eine Redundanz bekommen.

Erkennen Sie denn tatsächlich Unterschiede in der ökologischen Unternehmensführung zwischen Managerinnen und Managern?

Es gibt Hinweise darauf. Aufgrund ihrer normalerweise ökonomisch schwächeren Situation kann ich oftmals auch ein immanent ökologisches Verhalten bei Frauen beobachten, die dann ökonomisch-ökologisch denken. Bei Existenzgründerinnen stelle ich fest, daß sie sich eher ein sparsames Equipment hinstellen, also beispielsweise keine überdimensionierte, sondern eher reduzierte EDV-Anlage. Das ist ein wirtschaftlicher und zugleich ökologischer Faktor. Viele Frauen kaufen auch nicht sofort einen neuen Computer, wenn der alte zu klein wird, sondern lassen erst mal eine neue Platine einsetzen.

Also ökologisches Handeln aus ökonomischen Zwängen?

Nicht nur. Weil Frauen häufig mit weniger Kapital auszukommen haben, ist die Nutzungsdauer von Anschaffungen häufig länger. Doch auch das Ambiente von Arbeitszimmern und -plätzen ist oft anders als bei Managern: keine kraftvolle Orientierung an Luxus, sondern eher behaglich-natürlich mit ökologisch sinnvollen Möbeln. Damit kommen die Frauen raus aus dem immanenten ökologischen Verhalten und werden offensiv.

Es ist für Frauen allerdings recht problematisch, die technokratisch von Männern erdachten Produkte und unkreativen Dienstleistungen aus vollem Herzen zu vermarkten, weil sie Frauen nicht so nahe sind. Frauen sind sensibler, sie wollen zu den Produkten einen Bezug haben, um sie gut verkaufen zu können. Ein Mann macht das distanzierter und kann auch unsinnige Dinge vermarkten.

Umweltschutz in Unternehmen benötigt eine andere Kompetenz als Produktentwicklung oder technische Problemlösung, nämlich Teamgeist, Kooperation, Kommunikation, Weitsicht. Kapieren Männer manche Dinge einfach nicht, weil ihnen der Umgang mit mit diesen Tugenden ungewohnt ist, vielleicht sogar die soziale Kompetenz fehlt?

Bewußtes ökologisches Handeln ist ein ganz harter Veränderungsprozeß, der unsere eigene Bequemlichkeit gefährdet. Wir müssen umdenken, unsere Genuß- Süchte zurückstellen. Ich denke, daß da Männer in der Tat sehr viel kurzsichtiger und technokratischer sind. Männer haben Interesse an einem bestimmten Produkt, haben auch die Ideen, wie sie das produzieren und vermarkten können. Ich denke, daß Männer in Führungspositionen im Augenblick – ich will das nicht auf Dauer behaupten – weniger offen für eine langfristig sinnvolle ökologische Betrachtungsweise sind.

Frauen können Kinder kriegen – wenn sie wollen –, Männer müssen Maschinen in die Welt setzen – deren Kinder; und können eben immer wieder nur Totgeburten leisten.

Haben Männer also eine technokratische Kompetenz, Frauen eine bessere soziale?

Das ernsthaft zu behaupten würde meine technologisch und naturwissenschaftlich orientierten Kolleginnen fürchterlich beleidigen. Allerdings entwickeln Frauen auch in ihrer technologischen Kompetenz eine höhere soziale Komponente. Und so ist es wünschenswert, wenn Männer in ihrer technologischen und strategischen Kompetenz ebenfalls mehr diese soziale entwickeln. Ich glaube nicht, daß sie die nicht haben. Sie müssen sie einfach nur beleben.

Ist die ökologische Zukunft also weiblich?

Solange die Interessen vorwiegend kapitalistisch-ökonomisch und durch einen männlichen Focus bestimmt sind, wird es mit der Ökologie schwierig sein. Wenn Frauen an den richtigen Stellen politische Brücken besetzen, sehe ich das so. Da können wir diese schöne Wirtschafts- und Strukturkrise kreativ und gut nutzen. Da fordere ich auch das Potential der Frauen heraus.

Zum Durchstarten?

Mich stört bei einem Teil der Frauen vor allem diese tradierte Haltung nach dem Motto „gemeinsam bleiben wir klein“. Und wenn dann einige doch nach oben durchstarten wollen, sind nämlich nicht allein die wirtschaftsmächtigen Männer diejenigen, die Frauen behindern, sondern die Frauen tun dies selbst auch noch untereinander. Wenn Frauen eine Chefin vorgesetzt bekommen, haben sie zunächst viel länger damit und mit sich zu tun, sie legen anfangs häufiger Leimruten gegen eine Chefin – und die sind nachher auch schwerer zu beseitigen. Bis dieses Feld dann bereinigt ist, hat eine männliche Leitung oft schon längst autokratisch klare Linien geschaffen.

Durch Distanz ...

... und zielorientiertes Führungsverhalten. Frauen hingegen neigen dazu, daß sie Frauen auf der nächsten Ebene nicht wirklich fördern. Doch wird die Arbeitsform der Zukunft auf Teamgeist und Kommunikation basieren, darauf, daß Hierarchien verflacht werden. Das ist durchaus eine weibliche Angelegenheit, eine Arbeitsform, mit der die Welt eine Chance hat zu überleben. Die Frage ist dabei allerdings immer, wieviel Freiraum und Macht ich mir auf dem Weg dorthin nehme. Das nämlich müssen Frauen in Führungspositionen lernen: nehmen!

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Andreas Lohse