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■ Am Sonntag stimmen die ItalienerInnen ab: über das Fernsehen, den Ladenschluß und die Mafia-Verbannung

Rom (taz) – Kampf um die letzte Stimme – so eng lagen in den Meinungsumfragen die Ja- und die Neinstimmen bei Volksentscheiden in Italien noch nie beisammen: Zwölf Stimmzettel bekommen die Stimmberechtigten am kommenden Sonntag in die Hand, alle in unterschiedlichen Farben und mit dem zu eliminierenden Gesetzestext (zugelassen ist verfassungsmäßig nur die Streichung von Gesetzen oder Teilen davon, nicht aber der Vorschlag neuer Normen) und einer Kurzinformation darüber. Doch bei keiner einzigen Frage hat sich bisher eine eindeutige Mehrheit gezeigt, ganz im Gegensatz zu vielen früheren Abstimmungen, etwa gegen die Kernenergie oder zur Aufhebung einzelner Paragraphen des Wahlgesetzes, wo bereits lange vorher die Tendenz der Bürger klar zu erkennen war.

Natürlich stehen im Mittelpunkt die vier Abstimmungen über die Zukunft des Fernsehens: Festgeklopft werden soll nach Meinung der Referendums-Promotoren die Unzulässigkeit des Eigentums an mehr als nur einem landesweit ausstrahlenden Fernsehkanal (Medienzar Silvio Berlusconi hat derzeit deren drei), das Verbot der mehrmaligen Unterbrechung von Spielfilmen für Werbespots, die Einschränkung für Werbeagenturen, mehr als drei Kanäle mit Reklameeinschaltungen zu versorgen (Berlusconi ist Eigner einer der größten Werbesammelstellen Italiens, der Publitalia) und die Unzulässigkeit der Überführung des Staatssenders RAI auch nur partiell in Privateigentum.

Der Kampf um diese Fragen hat schwere politische Verwerfungen gezeitigt – bis hin zur Drohung der Medienüberwachungsstelle, Berlusconis Kanäle abzuschalten, weil die sich weigerten, wie gesetzlich vorgeschrieben auch die Werbe- Sendungen der Referendumsbefürworter auszustrahlen.

Berlusconi-Kanäle beinahe abgeschaltet

Doch über die Polemik bezüglich der Medien ist fast in Vergessenheit geraten, daß auch die anderen Abstimmungen von hoher politischer und gesellschaftlicher Relevanz sind. So zielt eines der Referenden darauf, die bisher automatische Einbehaltung der Gewerkschaftsbeiträge durch die Arbeitgeber abzuschaffen – was den „Sindacati“ vermutlich schwere Einbußen bringen würde, müßten sie doch dann, wie bisher und meist erfolglos die Parteien, hinter den Mitgliederbeiträgen herrennen.

Ein weiteres Referendum möchte die bisher von den örtlichen beziehungsweise rahmenrechtlich von den regionalen Verwaltungen vorgeschriebenen Ladenschlußzeiten völlig freigegeben wissen. Ein angeblich verbraucherfreundliches Ansinnen, das aber schwere Schattenseiten aufweist: Schon heute müssen Ladenmädchen und Kellner in Restaurants und Bars meist sieben Tage die Woche von früh bis abends arbeiten, wenn sie nicht gefeuert werden wollen. Die im Winter von Samstag abend bis Montag nachmittag und in den Sommermonaten immerhin noch am Sonntag nachmittag vorgeschriebene Schließung der Geschäfte wäre dann aufgehoben, der Totalausbeutung der Beschäftigten keinerlei Grenze mehr gesetzt.

Und noch ein weiteres Referendum gibt Anlaß zu Differenzierung: das über die Verbannung von Mafiosi. Eine schon in der Antike angewandte Regel gestattet es örtlichen Sicherheitsbehörden – in der Regel den Regierungspräsidenten – Personen aus der Stadt zu weisen und in eine abgelegene Gegend zu verbannen, denen man zwar keine Verbrechen belegen kann, die aber als sozial gefährlich oder „für den Frieden der Gemeinschaft unzuträglich“ erachtet werden.

Mit Hilfe dieser Norem hatten die Behörden früher Mafiosi, die sich immer wieder der Verurteilung entziehen konnten, aus ihrem vertrauten Milieu entfernt und gehofft, auf diese Weise Ruhe vor dem organisierten Verbrechen zu bekommen.

Dagegen rebellieren aber nun die Gemeinden, in die die Bosse verbannt wurden: Erstens sei es im Zeitalter des Selbstwählverkehrs und der Handys völlig naiv zu glauben, die Gangster würden aus fernen Gebirgsdörfern keinen Kontakt zu ihrem Clan halten können, und zweitens habe die Erfahrung gezeigt, daß überdies die Verbrecher in ihrer neuen Wohnstatt alsbald ihre alten „Arbeitsmethoden“ aufzogen und zum Beispiel in bisher ruhige Kleinstädte einen schwunghaften Drogenhandel brachten. Dem halten „Nein“-Befürworter entgegen, daß man den einzelnen Mafioso am fremden Ort doch besser kontrollieren könne als zu Hause, und daß sich einige der Bosse in der Einsamkeit der Abruzzen tatsächlich von ihrem bisherigen Leben abgewandt haben.

Dennoch: dieses Referendum ist das einzige, das von vornherein die größten Aussichten hat durchzukommen. Werner Raith