Wahlgesetz für Rußland

Duma nimmt Kompromiß für Parlamentswahlen im Dezember an / Jelzin akzeptiert  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Rußland machte gestern einen weiteren Schritt auf dem Wege zur parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster. Das russische Parlament akzeptierte einen Kompromiß für ein neues Wahlgesetz, das Präsident Boris Jelzin zunächst abgelehnt hatte. Die Zauberformel, auf die sich das Unterhaus der Duma, der Föderationsrat und Präsident Jelzin durchaus einigen könnten, lautet „225:225“. Demnach soll die Hälfte der Deputierten über Parteilisten ins Parlament gelangen und die andere Hälfte direkt in ihren Wahlkreisen gewählt werden. In beiden Fällen gilt das Verhältniswahlrecht. Der Erfolg jedes lokalen Kandidaten wird davon abhängen, wie seine Partei in einem der 89 Wahlkreise abschneidet — und nicht im Land insgesamt.

Den Anteil der regionalen Vertreter hatte der Präsident allerdings erhöht sehen wollen. Jelzins Position unterstützten in diesem Falle die Gouverneure vor Ort. Die Schlichtungskommission hat dann zwar nicht die Zahl dieser Kandidaten erhöht, aber ihr Gewicht verstärkt – und zwar dadurch, daß nunmehr die „zentrale“ Liste jeder Partei nur noch 12 Kandidaten umfassen darf.

Dafür erfüllt das neue Gesetz eine Herzensbitte des Präsidenten und seiner Provinzmatadore. Der berüchtigte Artikel 44 der Erstfassung, demzufolge Staatsbeamte und Journalisten ihre Posten im Falle einer Kandidatur niederlegen sollten, wurde geändert. Nunmehr sind sie nur noch verpflichtet, ihre Positionen nicht zu Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen. Folge: Ministerpräsident Tschernomyrdin zum Beispiel, dessen Wahlblock „Unser Haus Rußland“ von vielen regionalen politischen Führern unterstützt wird, muß nicht stempeln gehen.

Der Sprecher der Kommission, Wladimir Isaakow ließ verlauten, der Präsident habe dem Kompromiss schon zugestimmt.

Wesentlich erhöht sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, daß die Parlamentswahlen tatsächlich zum vorgesehene Zeitpunkt abgehalten werden und erstmals nach Spielregeln ablaufen, die ebenfalls von einem Parlament ausgearbeitet und von der gesamten Öffentlichkeit diskutiert wurden.

Die letzte Hürde steht dem neuen Wahlgesetz allerdings erst bevor: Der Föderationsrat muß noch zustimmen.

Danach bliebe nur zu hoffen, daß die 25 Prozent aller Wähler, deren Erscheinen an den Urnen das neue Gesetz zur Voraussetzung der Gültigkeit der Wahlen macht, an jenem so nahen und gleichzeitig so nebelfernen Dezembertag rechtzeitig aus den Federn finden. Barbara Kerneck