Der steinige Weg zum Frieden

Ins Friedensdorf Storkow zogen die ersten BewohnerInnen ein / Jugendliche, die einst Brandflaschen warfen, wohnen jetzt mit Bosniern zusammen  ■ Von Elke Eckert

Sechs weiß gestrichene Reihenhäuschen stehen da, die zwei linken sind schon bewohnt. Auf ihren Veranden, zum Bauplatz hin, warten weiße Gartenstühle und der dazugehörige Tisch auf besseres Wetter. Ahnungslosen Spaziergängern fällt nichts Besonderes auf. Doch handelt es sich hier um ein Vorzeigeprojekt. Wichtige Leute waren bereits da. Katja Ebstein sang hier im letzten Sommer Lieder vom Frieden, und Peter Horton begleitete sie am Klavier, während der brandenburgische Ministerpräsident sich mit Jugendlichen über ihre Ausbildungsprobleme unterhielt und immer wieder versicherte, er werde sich um ihre Sorgen kümmern.

Die sechs Reihenhäuschen sind der erste von drei Bauabschnitten; sie sind ein Teil eines großen Projekts. „Friedensdorf“ heißt es schlicht, und seine Berühmtheit hat es erlangt durch die Idee eines bekannten Mannes: Rupert Neudeck. Der Leiter des Notärztekomitees Cap Anamur wollte in der Mark Brandenburg, die für ihre Randale von Rechtsradikalen aus Fürstenwalde und Königs Wusterhausen 1991 in die Schlagzeilen kam, ein Zeichen setzen. Vorurteile von Deutschen gegenüber Ausländern abbauen. Der Weg sollte in drei Schritten dort hinführen. Ausländische und deutsche Jugendliche arbeiten gemeinsam. „Nicht Häuser abbrennen, sondern sie gemeinsam erstellen“, waren die Träume des Cap-Anamur-Leiters. Und einige Storkower, die vorher Schutzwachen vor Ausländerunterkünften standen, wollten die Träume wahr werden lassen, finanziell unterstützt vom Notärztekomitee und der Landesregierung.

Die Regionale Außenstelle für Ausländerfragen (RAA) in Potsdam stellte Frauke Postel ab, eine Mitarbeiterin ihres Mobilen Beratungsteams für das Projekt, und Cap Anamur ließ sich durch den Ingenieur Andreas Honrath vertreten. Die Storkower Initiatoren gründeten einen Verein und holten arbeitslose, deutsche Jugendliche herbei. Damit sie von der Straße kamen. Hier konnten sie eine andere Stärke als in ihrem rechtssympatisierenden Umfeld unter Beweis stellen: sägen, zimmern, verputzen, installieren, und das zusammen mit anderen, von denen sie glaubten, sie gehörten nicht hierher. Wider alle Unkenrufe der Storkower Bevölkerung glückte das Experiment. Keine Randale von Rechtsradikalen, keine Brandanschläge. Viele der Jugendlichen erhielten einen Ausbildungsplatz und drei stellten den Antrag, in „ihr“ Haus miteinziehen zu dürfen.

Haus Nummer vier wird ihr neues Heim sein, mit ihnen wohnen ein weiterer Deutscher und vier bosnische Jugendliche. In den anderen leben bereits eine Storkower und eine bosnische Familie, andere Storkower und eine Aussiedlerfamilie aus Kasachstan werden demnächst einziehen.

Doch beinahe wäre das vorzeitige Aus gekommen. Cap Anamur, die bis jetzt nach eigenen Angaben 700.000 bis 800.000 Mark in das Projekt gesteckt hatten, kündigten an, sich aus dem Friedensdorf zu verabschieden. Einerseits stehe kein Geld mehr dafür zur Verfügung, sagt der Leiter, und außerdem gebe Cap Anamur immer nur die Initialzündung, und wenn ein Projekt einmal läuft, zieht sich das Komitee zurück. Um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, lobt er den Verein Friedensdorf mit seinen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in höchsten Tönen, sie hätten viel Arbeit geleistet.

Doch so groß das Lob auch sein mag, die Freude darüber im halbfertigen Friedensdorf hält sich in engen Grenzen. Die Finanzierung eines weiteren Hauses, unter anderem mit behindertengerechten Wohnungen und ein Begegnungshaus für BewohnerInnen des Friedensdorfes, ist ungewiß. „Machen Sie sich keine Sorgen um die Finanzierung“, hat Rupert Neudeck zu Beginn des Projektes gesagt. Horst König, Mitglied des Vereins Friedensdorf, hat die Worte noch genau im Kopf. Und jetzt? „Wir machen weiter“, gibt er frustriert, aber überzeugt die Meinung der kleinen Gruppe wieder und deutet auf die Baugruben, die demonstrativ zur Pressekonferenz ausgehoben wurden.

Eine Pressekonferenz von Cap Anamur, von der der Verein und die BewohnerInnen nicht informiert wurden. Sie spielen dann auch auf der Medienshow keine Rolle, stehen abseits, beobachten die Szenerie oder ziehen sich in ihre Häuschen zurück. Rupert Neudeck präsentiert in gönnerhafter Manier vor den versammelten Medien und den wenigen ZuschauerInnen die Rettung in letzter Minute. Der stellvertretende Regierungssprecher der brandenburgischen Staatskanzlei, Peter Borowski, versichert, das Projekt werde mit Mitteln aus dem Vermögen der Parteien- und Massenorganisationen der DDR unterstützt. Und der Vertreter der Freudenbergstiftung, Christian Petri, sagt, gemeinsam mit der Robert-Bosch- Stiftung werde man die Nachfolge von Cap Anamur antreten.