Hans Wrobel, Jurist beim Senator für Justiz und Verfassung

Die Frage, ob wir in Deutschland einen Tag des Gedenkens an die Vernichtung der Juden brauchen, beantworte ich nur zögernd mit ja. Im Grunde ist jeder Tag ein Tag, an die die Vernichtung der Juden ins Gedächtnis kommt. .. Ich vermisse in unserer Zeit die Beiträge von Juden, so wie sie vor 1933 das geistige und intellektuelle Leben in Deutschland so entscheidend geprägt haben... Trotzdem möchte ich mich im Ergebnis positiv äußern. Aber welcher Tag sollte es sein?

Mir leuchtet nicht ein, daß man diesen Tag an einem 8. Mai oder an einem 9. November, am Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto oder anläßlich der Befreiung der Konzentrationslager begeht.

Mir läge daran, daß wir einen Tag finden, an dem ganz speziell das Volk der Deustchen sich daran erinnern muß, daß die Vernichtung der Juden in Deutschland erdacht, organisiert und ins Werk gesetzt worden ist. Ein solcher Gedenktag sollte aber nicht nur an den Genocid an den Juden erinnern. Er sollte immer wieder ins Gedächtnis bringen, daß die von Deutschland ausgehende Judenverfolgung viel mehr umfaßte: Entrechtung und Ausgrenzung zuerst, dann Beraubung und Drangsalierung in jeder nur denkbaren Art; am Schluß dieser Entwicklung steht nach dem 9. November 1938 die Deportation und Ermordung. Dies alles war mitnichten das Werk einer im Dunkeln arbeitenden undurchschaubaren Maschinerie. Vielmehr war die Verfolgung der Juden Staatsmaxime des Deutschen Reiches. ..

Ich könnte mir keinen besseren Tag des Gedenkens an diese Totalität der Judenverfolgung denken als den 15. September 1935. Dieser Tag ist der Tag der Verkündung der Nürnberger Gesetze. Er markiert den Tag, an dem die Juden ganz offiziell aus dem deutschen Volk ausgegrenzt und zu Menschen minderen Rechts erkärt wurden....

Bei meinem Vorschlag inspiriert mich vor allem der Gedanke, daß der 15. September ein Tag ist, der nicht durch andere historische Assoziationen besetzt ist. Er ist ein Tag, an dem ausschließlich die Deutschen sich an ihren ganz eigenen, zentralen Beitrag zur Drangsalierung, Verfolgung und Vernichtung der Juden zu erinnern haben. Der 15. September hat nichts zu tun mit Aufständen, die andere gegen ihre deutschen Peiniger organisiert haben. Er erinnert nicht an einen Sieg, der andere über Deutschland erkämpft haben. Er erinnert auch nicht an die Befreiung von Konzentrationslagern von deutscher Herrschaft. Dagegen könnte er vermitteln: Der Ermordung der Juden ging ihre Entrechtung und Drangsalierung in Deutschland voraus. Judenverfolgung war Staatsmaxime. Sie war eine Aktion des Staates, an der sich Gesetzgeber, Gerichte und Bürokratien beteiliugt haben. Das Volk schwieg oder billigte.